Was man in einer Promotion wirklich lernt – Teil 2

Christine Stedtnitz

Heute geht es weiter mit der Mini-Serie “Was man beim Promovieren wirklich lernt” unserer Gastautorin Christine Stedtnitz. Christine promoviert an der University of Essex in Colchester (UK) und hat für uns ihre gesammelten Weisheiten und Tipps zusammengefasst!

Teil zwei einer zweibloggigen Serie. Letzte Woche: Teil 1, Akademische Weisheiten. Heute: Teil 2, Weitere Weisheiten: persönliche Erkenntnisse und soft skills. Man könnte sie auch Erkenntnisse der Selbstständigkeit taufen, oder Lebenserfahrung, aber als Promovierende in Selbsttherapie führen wir sie selbstverständlich ausschließlich auf unsere Promotion zurück.

Teil 2: Persönliche Weisheiten

Als ich mal ein Jahr in Frankreich studiert habe, habe ich gelernt, dass jedes Essay, genau wie jede Vorlesung, genau drei Punkte haben darf. Man nennt sie: „großes eins“, „große zwei“, und „große drei“, römisch nummeriert. (Selbstverständlich werden die Überschriften in der Vorlesung mitdiktiert. Während deutsche Studierende gegen Ende der Vorlesung die eurozentrische Brille des Dozenten bemängeln, beziehen sich Rückfragen der französischen Kommilitonen auf die großen Nummern: War Punkt X Teil des großen 2 oder Teil des großen 3? Große Frage.) Also: drei große weitere Weisheiten aus dem PhD. (Dass jeder große Punkt gleich lang sein muss und zudem entweder zwei oder drei Unterpunkte haben darf, werden wir im Folgenden ignorieren.)

I. Du lernst Zeitmanagement

Im Studium habe ich Zeitmanagement, oder eben keins, eher so als Diagnose gesehen. Es gab zwar Leute, die ihre Hausarbeiten regelmäßig zwei Wochen vor dem Termin abgegeben haben, aber sie waren mir schon immer suspekt. Ich zählte mich zur größeren Hälfte, die erst einmal entspannte Semesterferien hatte, und dann nach wenigen Wochen produktivster Arbeit pünktlich um 23.30 Uhr am Abgabetermin abgab. Schon ein bisschen stressig, aber das Leben ist kein Ponyhof. Außerdem kann man ja die ersten Wochen des Semesters problemlos verschlafen.

Problem der Promotion ist: Abgabetermine machen sich rar. Ob du das Teil heute schreibst oder nächsten Donnerstag, interessiert eigentlich keinen. Wenn du also, wie ich, schon in deinem Studium dazu neigtest, viel zu lange in der Lesephase zu hängen (hochspannend, das alles!) und viel zu spät in die Schreibphase überzugehen, kommst du in der Promotion nicht umhin, dich zu organisieren. Meine eigene Organisations- und Zeitmanagementkompetenz ist zugegebenermaßen ausbaufähig, aber als ordentliche Akademikerin hält mich keine Ahnung mitnichten vom Ratgeben ab. Ich rate also zu drei Dingen:

 1. a) Einen langfristigen Plan 

Plane dein Jahr. (Wenn du ganz motiviert bist, auch deine nächsten zwei oder drei Jahre.) Fang mit den großen Plänen an (z.B. ein Paper), guck dir die Konferenzen in deinem Bereich an (und googlemaps, denn Konferenzen sind nur so cool wie der Ort, wo sie stattfinden), überlege, was du so ungefähr wann machen müsstest, um da hin zu kommen und plane rückwärts: Was sollte ich in welchem Monat machen, um in Monat X ein Paper zu haben? Was in welcher Woche?

Ich habe mir in meinem ersten Jahr eine einfache Excelvorlage aus dem Internet gesucht, unterteilt nach Wochen, die ich erstmals an einem enthusiastischen Sonntagnachmittag ausgefüllt habe und seitdem alle paar Monate anpasse (= copy & paste alles ein paar Wochen nach hinten). Vorlagen gibt es z.B. hier) Der Effekt ist rein psychologisch: du siehst, was du schon geschafft hast und dass du deine Ziele erreichen kannst. Alternativ zu Excel bieten sich Wandkalender an. Da diese dann doch etwas penetrant an nicht eingehaltene Termine erinnern, bleibe ich bei Excel. Das Spiel lohnt allerdings nur, wenn du auch Uni-aber-nicht-Diss.-Dinge (z.B. 2 Wochen nach Semesterende um Hausarbeiten zu korrigieren / Tests zu bewerten) und nicht-Uni-Dinge (z.B. 2 Wochen Mallorca nach 2 Wochen Hausarbeiten korrigieren) einplanst. Ebenso empfiehlt es sich, Pufferwochen einzuplanen, denn, Gesetz Nr. 1 des doktorierenden Grundgesetzes: Alles dauert genau doppelt so lange wie du denkst

1. b) Todoist

Eine Online To-Do Liste, aufteilbar in Kategorien und markierbar in verschiedenen Farben. Ich benutze sie für alles von Zahnpasta kaufen über Flug buchen bis Code korrigieren. Optional kannst du deinen Aufgaben Deadlines geben. Todoist hat eine App für Smartphones und ein Gmail Plugin, sodass du Emails, die du irgendwann beantworten willst, aber nicht sofort, einfach als Aufgabe in deine to-do liste hinüberklicken kannst.

Todoist hat jedoch, wie ich zu Angang meines PhDs von einem meiner Betreuer und dem Zeitmanagementguru des Fachbereichs aufgeklärt wurde und inzwischen bestätigen kann, genau einen Nachteil: todoist braucht Internet. Ohne Internet kein todoist. Wenn du, wie meine Mama letztens, bei deinem nächsten Internetvertrag zwischen DSL 50 und 100 schwankst, kannst du diesen Einwand problemlos ignorieren. Wenn du aber, wie ich in den letzten 2.5 Jahren im britischen Brandenburg lebst, j.w.d., am Ende der Welt, wo deine Emotionen beim täglichen Büro-Internet-Ausfall zwischen Groll auf IT Helpdesk (‘I don’t think there is much we can do’), Groll auf Informatiker (einziger Teil der Uni mit ordentlichem WLAN) und einem späten Verständnis für die armen Anwohner des Tals der Ahnungslosen schwanken, ist dieser Einwand in der Tat ein Einwand. Denn wenn todoist dein Kopf ist (oder, als Prof gedacht, dein/e Sekretär/in), ist kein Internet = kein Kopf.

Tipp 2 von Zeitmanagementguru: Teile todoist-Aufgaben in kleinere Aufgaben. Also, nicht „Paper schreiben“ sondern „Einleitung schreiben“, ‚Forschungsstand schreiben“, „Methodenteil schreiben“, „Modelle überprüfen“, „Modelle in Paper übernehmen“‚ „Graphik erstellen“, etc. Dadurch bekommst du einerseits eine bessere Vorstellung davon, was du alles machen möchtest (und demnach, wie lange das dauert) und kannst andererseits abends sehen, was du erledigt hast. Wofür du auf todoist übrigens Karmapunkte bekommst.

1. c) Dieses Buch.

Es verdient einen eigenen Blogpost.

Nach obiger Investition stelle ich fest, dass sich in einer Promotion zumindest ein Mindestmaß an Zeitmanagement und Organisationsfähigkeiten entwickelt.

Ebenso stelle ich fest, dass deadlines wirklich nur in Deutschland tote Linien sind. In Großbritannien fungieren sie eher so als lose Anhaltspunkte. Solltest du dich also für eine nicht-deutsche Uni entscheiden und solltest du dann je zwei Wochen nach irgendeiner uniinternen Abgabefrist irgendein nerviges Formular einreichen wollen, dann lasse dich nicht von deinen Plänen abbringen, denn, wie ich von meinem anderen Betreuer gelernt habe: Der Schlüssel zum Erfolg ist ein entsprechend entschuldigender Ton.

II. Du lernst deinen eigenen Arbeitsstil kennen und schätzen

1. Wann du am besten arbeitest

Dass 8 Uhr dem Biorhythmus des Durchschnittsbürgers nicht entspricht, ist jedem Schüler einsichtig und jedem Lehrer offensichtlich. An der Uni wird es leicht besser, vielleicht auch im Beruf, aber nirgends stehen die Chancen auf ein selbstbestimmtes Arbeitsleben besser als in der (nicht labor-gebundenen) Promotion. Wem 8 Uhr zu früh ist, fängt um 9 an; wem 9 zu früh ist, fängt um 10 an; wem der Vormittag missfällt, ist König des Nachmittags.

Du stellst von selbst fest, wann du am produktivsten bist. Legst du die Dinge, die Denken erfordern, auf deine produktiven Phasen, so hast du den Rest des Tages um dein Leben zu leben. (Im richtigen Job machen Leute ja auch ständig Kaffeepausen. Die wenigsten arbeiten wirklich von 9-5.).

2. Wo du am besten arbeitest.

Während introvertierte Leute im richtigen Leben mit Großraumbüros kämpfen, können sie in der Promotion problemlos von zu Hause oder in der Bib arbeiten. Extrovertierte Leute suchen sich das Latinobüro ihrer Uni oder weichen, wenn es allzu langweilig wird, zu Starbucks aus. Extrovertierte Introvertierte tingeln hin und her. Latinos oder Latinos at heart kommen auf ihre Siesta. (Die übrigens nicht nur deine Produktivität steigert, sondern auch für deine Gesundheit förderlich ist!)

Resultat ist: wenn du weißt, wie und wo DU am besten arbeitest und wenn du die vollständige Kontrolle über deine Arbeit hast kannst du aus einem Minimum an Zeit ein Maximum an Output schlagen.

III. Durchhaltevermögen und Problemlösungskompetenz

Ich kenne keinen einzigen Doktoranden, bei dem alles wie am Schnürchen lief. Und wenn doch, hat er/sie ge-p-hackt! (Apropos p-hacking…) Mir kommt das Promovieren eher wie ein Marathon durch ein Labyrinth mit Hindernissen vor. Herausfordern nicht nur deine eigene Forschung, sondern auch die anderen Dinge, die das Leben so mit sich bringt.

Ein normaler Job birgt allein durch die Notwendigkeit, ihn jeden Morgen um 9 aufzusuchen, einen gewissen Grad an Stabilität, der Doktoranden fehlt. Ein normaler Job beinhaltet Aufgaben, die erledigt werden, und somit ein konstantes Gefühl, etwas geschafft zu kriegen. Ein normaler Job liefert regelmäßige Interaktion mit menschlichen Wesen und—hoffentlich—regelmäßiges positives Feedback. In einem normalen Job arbeiten Fachkollegen Seite an Seite an einem gemeinsamen Thema. Ein normaler Job gibt dir die Möglichkeit, wenn du nicht gerade Facebookchef bist, Problemfälle mit Fachkollegen zu besprechen, weiter- oder hochzureichen oder im Team zu lösen. In einem normalen Job fällt es auf, wenn jemand drei Monate lang von der Bildfläche verschwindet, weil irgendwas in seinem Leben gewaltig schiefgelaufen ist. In deiner Promotion ist dein Thema ‚dein’ Thema und deine Probleme ‚deine’ Probleme.

Natürlich gibt Dinge, die du tun kannst, um fehlende Struktur auszugleichen: Für akademische Fragen hast du in der Regel Ansprechpartner. Die zu bemühen lohnt, selbst wenn sie nicht total in deinem Thema sind. (Bestes und auch ein Jahr später noch gern zitiertes Beispiel meines griechischen Bürogenossen, der, nachdem er lange über irgendeinem Problem gebrütet hatte, seinen Betreuer, der nicht ansatzweise in seinem Gebiet ist, traf: Er (Doktorand) kam freudestrahlend ins Büro zurück. Ich: „Wie lief’s?“ Er: „Super!“ Ich: „Und? Was hat er gesagt?“ Er: „Eigentlich nichts. Ich habe die ganze Zeit geredet.“ Und letzte sich freudestrahlend zurück an seinen Schreibtisch (den er zwei Minuten später für Zigarettenpause die fünfzehnte wieder verließ.)

Aber auch sonst gibt es Mittel und Wege, institutionellen Hürden des Doktorandendaseins zu begegnen. Kuchen backen liefert sofortige gute Resultate. (Und positives Feedback.) Unterrichten gibt dir das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und etwas geschafft zu kriegen. (Kostet aber auch Zeit). Schwer zu empfehlen sind ebenso Kolloquien. Und zwar nicht die Art von Dienstags- oder Donnerstagskolloquien, mit denen jeder Fachbereich seine Website schmückt und auf denen dir alles von Masterstudi, Doktorand, WiMi oder Prof seine holde Meinung kundtut, sondern Kolloquien mit ein paar wenigen PhD-Kollegen, die ungefähr auf deinem Level sind, mit denen du dich gut verstehst, und in die du gut und gerne Zeit investiert. Das hat zwei große Vorteile: Erstens hast du durch das Datum des nächsten Termins, an dem du vorstellst, automatische eine Deadline. Zweitens gibst und bekommst du gutes Feedback. Denn das sind die Leute, mit denen du dich eine Stunde lang hinsetzt um nach dem Fehler in ihrem R-Code zu suchen, für die du dich auch durch 30-seitige Entwürfe in gebrochenem English kämpfst, und denen du am Ende eine ehrliche Meinung und gute und durchdachte Verbesserungsvorschläge geben kannst. (Und die gleiches für dich tun). Die Art Feedback ist in der Regel um einiges hilfreicher als das, was du anderen, und was andere dir nach einer zwanzigminütigen Powerpointpräsentation geben können. Auf die Idee mit den Privatkolloquien kam ich vor ein paar Monaten (und rutschte auch eher rein; Resultat eines besonders beschwerdereichen Mittagessens mit seit Monaten in der ‚kurz vor Abgabephase’ hängenden Kollegen). Gleiches würde ich beginnenden PhDs empfehlen: Sucht euch ein paar Leute, nicht zu viele, vielleicht drei oder vier, die ungefähr genauso weit sind wie ihr und trefft euch regelmäßig, um eure Ideen zu besprechen. Irgendwann besprecht ihr dann eure ersten Resultate. Dann eure Papers. Und dann irgendwann hoffentlich die Gutachten, nachdem ihr eure Papers bei Journals eingereicht habt.

Ausgehend von der Annahme, dass zumindest die wissenschaftlichen Leser dieses Blogs bereits die Einleitung gelesen haben und nun nach langem Scrollen den Punkt erreicht haben, wo sie einen Schluss erwarten, hier eine Zusammenführung der Ergebnisse und Fazit (mit bestem Dank an die drei derzeitigen und ehemaligen Bürogenossen, deren Meinung von heute Mittag ich nun also als meinen Schluss verkaufe).

Fazit: Weitere Weisheiten aus dem PhD.

Einen kühlen Kopf bewahren. Da dies in unterschiedlichen Formulierungen der erste Kommentar der Genossen von heute Mittag war, verdient er wohl Platz 1: Du lernst, durch Höhen und Tiefen zu gehen und in beiden deinen Kopf zu bewahren.

Mit Wasser kochen. Sobald du siehst, wie Leute zu ihren hochwissenschaftlichen Ergebnissen kommen, verlierst du zwar hoffentlich nicht den Respekt, aber zumindest die Hochachtung. Was die können, kannst du auch! Dass die bei uns auch nur mit Wasser kochen habe ich übrigens von einer Yale-Doktorandin (in Biologie) aufgeschnappt.

Hilfe suchen. Du lernst, dir Hilfe zu suchen, wo du Hilfe brauchst – sei es, deine Betreuer, deine Mitdoktoranden oder irgendwelche anderen Kontakte zu bemühen, wenn du eine zweite Meinung brauchst, seien es andere Wege (oder Bücher), dir Wissen anzueignen. Große Klasse sind wir im Googlen.

Sozialkompetenz. Du lernst, deine Mitdoktoranden durch ihre harten Phasen mitzutragen und dich durch deine harten Phasen mittragen zu lassen. Oder: aus einem Haufen nerdiger Alphatierchen entsteht so etwas ähnliches wie freundschaftliche Normalität.

Selbstständigkeit. Du lernst, mit unterschiedlichen Meinungen zu deiner Forschung umzugehen und deine eigenen Entscheidungen zu treffen und zu verteidigen.

Flexibilität. Murphy’s Law muss sich ein Wissenschafter ausgedacht haben. Irgendetwas läuft immer schief. In dem Kontext erklärt sich das Konzept der ‚versunkenen Kosten’ (sunk costs): „Kosten, die bereits entstanden sind und nicht (beispielsweise durch Verkauf) rückgängig gemacht werden können“. (Solltest du also z.B. in deinem ersten Jahr in einem Anflug von Begeisterung Daten erhoben haben, die weder deine Hypothesen bestätigen, noch in deiner Prä-Professionalität methodisch einwandfrei erhoben wurden und solltest du dann mit dem Gedanken spielen, aus diesem Datensatz ein Paper zu schreiben, solltest du diesen Gedanken fallen lassen und anstelle dessen dein nächstes Projekt in Angriff nehmen. Dumm nur, dass es diesen Blog in meinem ersten Jahr noch nicht gab.) Du lernst also, wenn ein Ding nicht klappt, zum nächsten überzugehen. Oder, wie ich in einem professional development Seminar einst hörte: Am weitesten kommen die, die am schnellsten wieder aufstehen.

Durchhaltevermögen: Du lernst, an deinen Problemen zu arbeiten, bis du es raushast. Dass du dir damit eine unglaubliche Problemlösungskompetenz angeeignet hast, siehst du in der Regel erst, nachdem du dein unüberwindbares Hindernis überwunden hast.

Prioritäten setzen. Du lernst, je länger dabei und je näher am Ende, dich und deinen Doktor nicht allzu ernst zu nehmen. Da sich vor Jahren bestätigt hat, dass es tatsächlich ein Leben nach der Klausur gab, ist davon auszugehen, dass es auch ein Leben nach der Diss. gibt. Außerdem gibt es auch ein Leben während der Diss. Und in ein paar Jahren hegen wir an unserem eigenen Doktor wahrscheinlich ähnlich viel Interesse wie wir heute an unserer Abinote hegen. Ergo: Dabeisein ist alles!

Und, last but not least (wie wir Deutschen und sonst niemand zu sagen pflegen): mein eigenes Fazit, welches da ist das plagiierte Motto meine Onkels und einer in Deutschland verbreiteten und nicht unumstrittenen Restaurantkette: „Chi va piano va sano e va lontano.“ Wer langsam läuft, läuft wohlbehalten und weit.

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