Wie bearbeite ich meine eigenen Texte?

Den Rotstift zücken… image: https://martyhing.wordpress.com/tag/science-writing/

Ob wir es wollen oder nicht, ein zentraler Teil unseres Daseins als Wissenschaftler ist das Arbeiten mit Texten – entweder passiv oder aktiv. Das gilt für die von uns, die schon als Schüler bei der Schülerzeitung gearbeitet haben und die Nachmittage lesend im Bett verbracht haben und alle die, die sich nur schwer dazu bringen können, das Labor mit all seinen wichtigen Fragen und Entdeckungen für mühselige Stunden am Schreibtisch zu verlassen. Denn Texte sind das wichtigste Format, in dem wir als Wissenschaftler untereinander debattieren. Und deshalb sollten unsere Texte es den Lesern so leicht wie möglich machen, unsere Fragen, Gedanken und Schlüsse nachzuvollziehen!

Natürlich ist die goldene Regel das Vier-Augen-Prinzip. Bevor ich einen Text endgültig aus der Hand gebe, hat ihn in der Regel immer mindestens eine Kollegin gegengelesen und kommentiert. Doch je schlechter die Texte, die ich zum Vier-Augen-Prinzip aus der Hand gebe, desto mehr sinkt die Bereitschaft der entsprechenden Kollegen, in Zukunft nochmal einen Text von mir zu lesen! Also sollte mein Ziel sein, dass der Text meinen Schreibtisch in dem besten Zustand verlässt, in den ich ihn bringen kann. Dann müssen sich auch meine Korrektoren nicht mit blöden Kommafehlern aufhalten, bis sie irgendwann genervt den Griffel fallen lassen. Sondern sie können sich auf das konzentrieren, was sie eigentlich tun sollen: Mir inhaltliches Feedback geben.

Wenn ich meine eigenen Texte bearbeite, versuche ich immer, den Korrekturprozess in einen inhaltlichen und einen sprachlichen Teil aufzuteilen. Da der inhaltliche der Wichtigere ist, kommt er zuerst – die sprachlichen Korrekturen können gegebenenfalls auch noch unter Zeitdruck folgen. Dabei breche ich den Korrekturprozess in zehn Schritte (vier inhaltliche, sechs sprachliche) herunter.

Den Text inhaltlich überarbeiten

1. Abstand schaffen!

Hier spielt gute Planung eine Rolle: Ich sollte genug Zeit eingeplant haben, dass ich den Text mehrere Tage lang in einer Schublade verschwinden lassen kann. Für mich müssen das mindestens zwei Tage sein, um einen mentalen Abstand herzustellen. Bei meiner Diss. habe ich mir vor der Abgabe eine Woche Pause gegönnt, die ich für einen Kurzurlaub in Barcelona genutzt habe (sehr empfehlenswert, wenn auch nicht bei jedem Paper angebracht…). Das hat mir sehr geholfen, sowohl dabei, wieder neue Motivationsressourcen aufzubauen als auch dabei, den Kopf mit neuen Eindrücken zu füllen, um anschließend wieder mit frischen Augen an mein Manuskript heranzugehen.

2. Den Text ausdrucken

Man sieht einfach so viel mehr, wenn man den Text schwarz auf weiß vor sich liegen hat. Ich kann wild hin und herkritzeln, Pfeile zu anderen Seiten aufmalen, unterstreichen, durchstreichen, am Rand Alternativformulierungen aufschreiben… die Investition in Drucker und Tinte lohnt sich in jedem Fall!

3. Den Text laut vorlesen

Den Text einmal laut vorzulesen hilft mir dabei, festzustellen, ob sich der Text flüssig liest und meine Argumente aufeinander aufbauen. Dabei stelle ich mir vor, ich würde den Text zum allerersten Mal lesen – so wie jeder meiner zukünftigen Leser. Dabei stelle ich mir folgende Fragen:

  • Welche Fragen bleiben noch offen?
  • Habe ich Konzepte oder Zusammenhänge vorausgesetzt, die ich nicht erklärt habe (bzw. wo ich die Erklärungen eventuell im Redaktionsprozess gestrichen habe)?
  • Erschließt sich die Argumentation auch ohne Lektüre der Zwischenüberschriften (die viele Leser gerne überspringen)?
  • Gehen die Absätze fließend ineinander über?

Außerdem kann ich so lange und sperrige Sätze identifizieren, in die ich in der sprachlichen Überarbeitung noch etwas Mühe stecken sollte. Diese Sätze markiere ich entsprechend und hebe sie mir für später auf.

4. Den Rotstift zücken: Redundanzen raus!

Schließlich gehe ich rigoros mit dem Rotstift an meinen Text. Dabei habe ich meine Forschungsfrage oder Hypothese metaphorisch oder tatsächlich (als Ausdruck über meinem Bildschirm) vor Augen und überprüfe jeden Satz und jeden Absatz dahingehend: Ist dieser Satz essentiell für die Beantwortung meiner Frage? Bringt er meine Hypothese voran? Oder handelt es sich um einen Nebenaspekt, der in eine Fußnote* relegiert oder ganz aus dem Text verbannt werden kann?

Hier kommt auch das Prinzip zum Tragen, was im englischsprachigen Raum als „kill your darlings“ oder „kill your babies“ bekannt ist. Eventuell muss ich mich von liebgewonnenen Formulierungen trennen, oder von einem Absatz, in den ich zwei Tage lang Arbeit gesteckt habe… wenn er das Endprodukt nicht besser macht, kommt er raus!

In dem Buch „Thinking like your Editor“ habe ich einen großartigen Satz gelesen, der von da an mein Denken über den Redaktionsprozess geleitet hat:

A good way to judge any piece of writing is by the quality of the material deleted on the last edit. (Susan Rabiner/Alfred Fortunato, Thinking Like Your Editor, 68).

Das hilft ungemein, wenn ich meine „darlings“ killen muss: Wenn ich von der Qualität des Materials überzeugt bin, das dem Redaktionsprozess zum Opfer fällt, weist das auf ein gutes Gesamtprodukt hin!

(*Eine Nebenbemerkung zu Fußnoten: Häufig werden sie als „billiges“ Kürzungspotential missbraucht. Auch bei jeder Fußnote sollte ich mich fragen: Kann der Abschnitt nicht vielleicht auch ganz raus?)

Den Text sprachlich überarbeiten

Im nächsten Schritt folgt dann die sprachliche Überarbeitung. Auch diese ist wichtig! Unsere Leser danken es uns, wenn wir uns auch hiermit Mühe geben – sonst haben wir sie schnell wieder verloren.

5. Die Word-Rechtschreibprüfung nutzen

Klingt total banal – wird aber häufig vergessen. Natürlich sollte ich mich nicht auf Word verlassen, dafür ist die Rechtschreibprüfung doch zu schlecht. Aber das, was Word unterstreicht, sollte ich zumindest prüfen.

6. Auf Wortwiederholungen und andere sprachliche Redundanzen achten

Schon beim lauten Vorlesen sind dir vielleicht Wortwiederholungen aufgefallen. Mit der command+f Funktion (oder der Suche im Suchfenster des Dokuments) kann ich schnell meinen Verdacht bestätigen, ob ich ein bestimmtes Wort inflationär benutze. Dann ziehe ich ein Synonymwörterbuch zu Rate oder überlege, ob ich den Satz irgendwie umformulieren kann.

Ich bin selbst besonders anfällig dafür, redundante Adjektive zu verwenden. Zum Beispiel habe ich gerade unter Punkt 7. geschrieben: „sperrige, umständliche Sätze entwirren.“ Sperrig und umständlich drückt genau das Gleiche aus – eines der Adjektive muss raus!

7. Sperrige Sätze entwirren

In Schritt 3 habe ich mir ja beim lauten Vorlesen sperrige Sätze markiert. Diese entwirre ich jetzt, indem ich sie nochmal laut vorlese und dann in zwei oder mehr Sätze aufteile und Verschachtelungen auflöse. Viele Kommas sind ein guter Hinweis für Verschachtelungen!

8. Titel, Fußnoten und Literaturverzeichnis Korrektur lesen

  1. Hier – ganz besonders im Titel und in Untertiteln – schleichen sich am häufigsten Fehler ein, da man schnell dazu neigt, sie zu überlesen.

9. Auf Einheitlichkeit achten

  1. Habe ich zum Beispiel Zahlen einheitlich ausgeschrieben? Oder versteckt sich in einem Satz eine 8, in einem anderen eine zehn? Einmal schreibe ich 57 Euro und einmal 57 €? Habe ich Abkürzungen bei der ersten Nennung in einer Klammer ausformuliert? Zeitungen und Buchtitel entweder kursiv gesetzt oder in Anführungsstrichen (und nicht beides durcheinander)? Etc. pp. (Bei diesen Fragen unbedingt das Stylesheet deines Verlags beachten!)

10. Noch einmal durchlesen – und dann aus der Hand geben!

  1. Jetzt lese ich alles noch einmal durch (hier fallen mir dann meistens nur noch Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Flüchtigkeitsfehler auf) und gebe es dann meiner Kollegin oder meinem Kollegen – der damit den besten Text in der Hand hält, den ich produzieren konnte.

    Literaturangaben:

Susan Rabiner/Alfred Fortunato, Thinking Like Your Editor: How to Write Great Serious Nonfiction – and Get It Published (New York und London: W.W. Norton, 2002).

 

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