Chunk-Work oder die Macht des freien Tages

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Viele Promotionsratgeber vergleichen die Doktorarbeit mit einer Pflanze, die man kontinuierlich pflegen und jeden Tag gießen soll. Würde man das nicht tun – und die Pflanze dann nach Wochen mit einer ordentlichen Portion Wasser bzw. Arbeit überschütten, verkraftet das Pflänzchen das nicht und geht ein. Es gibt dementsprechend auch viele Tipps à la „jeden Tag mindestens einmal das Diss-Dokument aufmachen“ um „am Ball zu bleiben“. Für viele ist das bestimmt der richtige Weg und gegen kontinuierliches Arbeiten habe ich auch gar keine Argumente. Trotzdem habe ich gemerkt, dass ich deutlich besser mit meiner Doktorabeit vorankomme, seitdem ich nicht mehr jeden Tag daran arbeite. Ich gebe sogar zu – ich habe regelmäßig „dissfreie Tage“ – unter der Woche!

Ich spoilere schon mal so viel: Die Methode hinter diesem ketzerischen Arbeitsrhythmus heißt Chunk-Work und sie hat meinen Arbeitsalltag revolutioniert.

Der Alptraum: zerstückelten Tage

Meine Alptraum-Woche sieht so aus:


Montag: Arzttermin um 11.00, nachmittags unbedingt die wichtige Mail an XY schreiben

Dienstag: Kolloquium um 16.00, dringend Wäschewaschen, Literatur für Kapitel 3 recherchieren

Mittwoch: Deadline für den Stipendienreport, den ich schnell noch fertig machen muss. Mist, nichts zum Mittagessen zu Hause, also irgendwann mal einkaufen

Donnerstag: Sport um 16.30, Leihfristende der Bücher, also muss ich in die Bib

Freitag: morgens schnell zur Post, endlich die Geburtstagskarte an Oma abschicken. Um 13.00 Mittagessen mit einer Freundin, die ich ewig nicht gesehen habe. Mist gestern vergessen, die Fernleihe abzuholen. Also nochmal in die Bib

Samstag: vormittags dringend noch die Power Point für Montag machen

In einer derartigen Woche – und davon gab es einige – schaffe ich es ungelogen nicht, an meiner Dissertation arbeiten. Mit „Arbeiten“ meine ich hier vor allem konzentriert lesen, analysieren oder schreiben – denn natürlich sind Kolloquien und Recherche auch im weitesten Sinne Arbeit an der Diss.  Es gibt für mich nichts schlimmeres als zerstückelte Tage, die ständig von Terminen und Aufgaben unterbrochen werden. Einerseits brauche ich immer ein bisschen, um wieder in die Aufgaben reinzukommen und zu rekapitulieren, wie ich weitermachen kann. Andererseits gehöre ich leider zu den Menschen, die das Gefühl haben, für kurze Zeit lohne es sich nicht, anzufangen: wenn ich um 16.00 einen Termin habe, bin ich morgens um 9.00 schon gehemmt. Irgendwie sitzt mir der Termin bereits im Nacken und bei jedem Mini-Schritt denke ich: „Schaffe ich das überhaupt noch?“ Spätestens am 14.00 werde ich nervös, will alles zusammensuchen und checke, welche Bahn ich nehme muss oder wie lange ich zum Treffpunkt laufe. Auch zu wissen, dass mich am Nachmittag noch 100 Kleinigkeiten erwarten, stresst mich. Allein zu planen, was ich einkaufe und wenn ich zur Post gehe, frisst im Hintergrund Hirnkapazität und ich bin bei der Arbeit unkonzentriert und schnell abgelenkt.  Ich habe aufgehört, mich darüber zu ärgern und einfach akzeptiert, dass so nun mal mein Arbeitsstil ist. Es gibt auch durchaus Techniken, um damit umzugehen. Die Zauberformel lautet, wie oben bereits verraten: Chunk-Work.

Die Zauberformel: Chunk-Wort

Chunk-Work bedeutet eigentlich nicht anderes, als die Arbeit zu einem dicken „Brocken“ zusammenzufassen. Statt ständig kleine verschiedene Häppchen wegzuarbeiten, brauchen Chunk-Worker das Gefühl, jetzt mal richtig Zeit zu haben, um eine Sache zu am Stück zu Ende zu arbeiten. Mein Geheimnis lautet also, richtig große Zeiträume freizuschaufeln, in denen ich mich nur auf die Diss konzentrieren kann, ohne andere Termine oder Aufgaben. Wenn ich richtig Zeit habe, dann komme ich beim Arbeiten in einen Flow-Zustand und versinke deep-work-mäßig so in der Aufgabe, dass ich kaum merke, wie die Zeit vergeht. Dafür muss der Arbeitstag aber im Idealfall vollkommen frei von anderen Aufgaben, Terminen und Störungen sein.

Mein Chunk-Work-Ansatz ist eine Abwandlung des Management-Tools. In der Grundmethode funktioniert time-chunking so, dass man alle Aufgaben und Termine, die man hat, unter bestimmten Kategorien zusammenfasst, z.B. Haushalt, Lehre, Sozialleben und Doktorarbeit. Dann reserviert man bestimmte Zeiträume, um sich einer dieser Kategorien zu widmen und dann bestenfalls alle darunterfallenden Aufgaben zu erledigen, z.B. Samstag vormittags: Haushalt.

Die Macht des „freien“ Tages

Ich unterteile meine Zeit ehrlich gesagt nur in die Kategorien „Freie Zeit um an der Diss zu arbeiten“ und „Der Rest“. Deshalb fasse ich auch ungeniert Haushalt, Sozialleben und Kolloquien zu einem Block zusammen. Ich versuche deshalb alle Aufgaben, die nicht mit der Diss zu tun haben, auf einen Tag zu schaufeln: wenn ich mitten am Tag einen Arzttermin habe, verbuche ich den Tag als „gelaufen“. Ich versuche dann, alle anderen Termine für die Woche auch auf diesen Tag zu legen: das Einkaufen und Wäsche, wichtige Mails schreiben, das Buch aus dieser eine Instituts-Bib am anderen Ende des Campus holen, das Mittagessen mit der Freundin und wenn es geht, vielleicht sogar noch den Sport. Das führt dann dazu, dass ich manchmal tatsächlich an einem schnöden Dienstag den ganzen Tag nicht an der Dissertation arbeite. Früher hatte ich deswegen oft ein schlechtes Gewissen – mitten unter der Woche einen freien einlegen? Welch Dekadenz! Gegen das Arbeitsethos aller Promovierenden! Man stelle sich vor, meine Betreuung sähe mich um 14.00 Uhr durch die Fußgängerzone schlendern! Inzwischen bin ich etwas entspannter, denn dieser „freie Tage“ mein dabei schließlich nicht „frei“ im Sinne von „Hoch die Hände, Wochenende“,„Badesee Olé Olé“ oder „Nama-stay in Bed“ (Diese komplett freien Tage gibt es natürlich auch – im Idealfall jedes Wochenende!) Die „freien“ Tage, die man sich für das Chunk-Work-Prinzip verschafft, sind eben nur frei von der Doktorarbeit, stattdessen aber gefüllt von anderen Terminen und Aufgaben, die einen sonst von der Diss abhalten würde.

Ich arbeite nicht nur auf die Woche heruntergebrochen gern mit Chunk-Work. Wenn möglich, schaufele ich mir sogar ganze Wochen für die Arbeit an der Diss frei – und konzentriere dann in anderen Woche Termine, Treffen mit der Betreuung und die Vorbereitung von Vorträgen.

Meine Doktorarbeit – eine Orchidee

Der Chunk-Work Ansatz widerspricht dem eingangs beschriebenen Bild vom Blumen gießen. Wobei – das komm eben ganz auf die Blume an! Ich stelle mir meine Doktorarbeit eher als Orchidee vor. Nicht nur, weil ich in einem sprichwörtlichen Orchideenfach promoviere, sondern weil so Doktorarbeit ziemlich anspruchsvoll und nicht für Feiglinge ist – nachher aber ein wunderschönes Ergebnis winkt (wer sich mit Pflanzen nicht auskennt – mit einer Orchidee ist es genauso! Die armen Exemplare aus dem Baumarkt gehen regelmäßig ein, weil Orchideen echte Diven sind). Eine Orchidee darf man keinesfalls jeden Tag gießen, sondern muss sie in regelmäßigen Abständen tauchen (also fast in Wasser ertränken) und sie dann tunlichst wieder mit Wasser in Ruhe lassen. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass ich nur alle paar Wochen mal an der Diss arbeite. Es gibt aber durchaus Tage – oder Wochen – in der ich das Doktorarbeitsdokument nicht aufmache. Bzw. hier muss ich klarstellen – ich bin eine Amsel und schreibe deshalb an mehreren Kapiteln parallel, welche sich in unterschiedlichen Worddokumenten befinden. So kann es sehr gut sein, dass ich bestimmte Kapitel wochenlang nicht anfasse, und dann ein- oder zwei Wochen nur an diesem Dokument arbeite, mehr oder weniger ohne Pause.

Natürlich weiß ich, dass nicht alle die gleichen Möglichkeiten haben, sich ganze Tage oder gar Wochen freizuschaufeln: Aufgaben wie andere Erwerbsarbeit oder Kinderbetreuung lassen sich manchmal nicht auf einen Tag konzentrieren. Man kann das Chunk-Work Prinzip allerdings auch im Kleinen anwenden, um wenigstens kürzere Zeiträume zu blocken. Vielleicht einen festen Nachmittag, an dem Kinder anderweitig betreut werden. Einen großen Wocheneinkauf, der die ständigen kleinen Supermarktgänge unter der Woche überflüssig macht. Das Vorkochen am Sonntag, das unter der Woche Zeit in der Küche spart. Oder eine feste halbe Stunde zum Mails beantworten, am morgen und nach der Mittagspause.

Chunk-Work vs. Häppchen-Methode

Es kann aber auch sein, dass Chunk-Work für euch überhaupt nicht funktioniert. Auf viele Leute wirkt es einschüchternd und schlimmstenfalls lähmend, wenn im Kalender zwei Wochen geblockt sind, um Kapitel 3 zu schreiben. Ich gebe zu, in dieser Hinsicht widerspricht Chunk-Work dem Mantra, die Dissertation in unzählige kleine Häppchen zu zerlegen. Wenn ich Chunk-Work betreibe, dann nehme ich mir einen richtigen Brocken vor.

Wie bei so vielem in der Dissertation gibt es in der Dissertation kein „richtig“ oder „falsch“, sondern verschiedene Wege, um ans Ziel zu kommen. Meistens ins es reine Typsache, ob die eine oder die andere Methode besser funktioniert. Um in der Diss aber motiviert zu bleiben und gut voranzukommen, ist es essentiell, den eigenen Arbeitsstil zu erkennen und nicht krampfhaft dagegen anzukämpfen. Wie eine liebe Kollegin letzte Woche in der Mittagspause sagte: „Wenn ich ein in der Diss gelernt habe, dann ist es, wie ich am besten arbeiten kann!“

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