Ich, Akademikerin: Frau-Sein in der Wissenschaft

Ein Gastbeitrag von Christine Stedtnitz (University of Essex, Colchester)

Marie Curie – unter Männern

Dieses Genderthema finde ich ziemlich nervig.

Wenn Politiker von „Bürgerinnen und Bürgern“ sprechen, halte ich das für Wort- und Zeitverschwendung. Wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Sätze mit „ich als Mann“ oder mit „ich als Frau“ anfangen habe ich selten Lust, den Rest des Satzes anzuhören. Bei „Du als Frau“ oder „Du als Mann“ werde ich passiv aggressiv. Wenn der Satz mit „müsstest“ weitergeht, kündige ich die Freundschaft auf.

All das änderte sich schlagartig, als ich, anno 2015, begann zu promovieren. Plötzlich redete alles über gender. Ständig. Und das obwohl zumindest mein Promotionsjahrgang vollkommen gender-ausgeglichen war. Schon in meinem ersten Promotionssemester wurde mir zugeteilt, dass es Mentoringprogramme gäbe, nur für Frauen, ganz toll, und, noch toller, eine Konferenz in den USA, wo ich nur Frauen meine Forschung vorstellen könnte. Als pflichtbewusste Preußin habe ich auch sofort eine halbherzige Bewerbung mit einem mittelmäßigen Abstract eingereicht. (Wundersamerweise bekam ich eine Absage.)

Das Problem mit dem Genderproblem ist das gleiche Problem aller Probleme: Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr sieht man es. (Und wenn ein Problem einmal besteht, dann sieht man es, auch wenn es nicht mehr besteht, siehe  dieses Paper.)

Und so fiel mir auf, nach und nach, dass:

  • Frauen oft organisatorische Aufgaben übernehmen. Bis vor einem Jahr gab es in meinem Doktorandenprogramm 2 Optionen dafür, wer sich alle zwei Wochen erbarmt, die unzähligen ungewaschenen Kaffeetassen abzuwaschen, wer eine Glückwunschkarte besorgt oder ein Kolloquium organisiert: Joe, der Quotenbrite, oder eine Doktorandin. Joe hat inzwischen seine Diss abgegeben und ist des Weges gezogen.
  • Frauen ziemlich viel Zeit ins Unterrichten stecken. Interessanterweise ist auch der Sprechstundenbesuch überproportional weiblich.
  • Frauen ihren Kollegen oft aushelfen. Ich bilde mir zumindest ein, häufiger über Frauen zu stolpern, die Papers gegenlesen, Seminare für Kollegen auf Konferenzen oder Kreuzfahrten übernehmen oder mir als Pre-Tester für meine Experimente dienen.
  • Frauen oft Beziehungsarbeit leisten. Das fängt bei der Kundenakquise an (wer skypt mit Leuten, die sich für eine Promotion interessierten?), geht weiter mit dem Herumführen der Neuen und endet mit dem Streitschlichtertum, das die modernen universitären Großraumbüros, in denen nerdige Alphatierchen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und politischer Ansichten aufeinanderprallen, zwingend erfordern.

Eigentlich mache ich ungefähr alles von dem da oben gerne. Kaffeetassen abwaschen zählt zu meinen Lieblingsprokrastinationsaktivitäten. Es macht mir Spaß, Papers zu lesen und Feedback zu geben. Ich stecke Zeit ins Unterrichten, weil ich gerne unterrichte.

Aber: Zwei Dinge stören mich.

Punkt 1: Der Zeit-Faktor

Einer der interessanteren Links, die in den letzten Wochen so auf unserem Doktoranden-Mailverteiler kursierten, war eine Präsentation einer Akademikerin der New York University, Amy Catalinac, Overcoming Barriers to Women’s Advancement in Political Science.

Neben den üblichen Zitate (Frauen tauchen seltener in den Top-Journals auf, werden weniger häufig zitiert, in Lehrevaluationen schlechter bewertet, etc.) schrieb sie, [People] „attach less value to a women’s time“. (Das ermutigte mich dann drei Wochen später dem Doktoranden, der ebendiese Präsentation herumgeschickt hatte, abzusagen, als er mich bat, zwei Tage später für ihn zwei Seminare zu übernehmen und auf meinen Einwand, ich habe eigentlich keine Zeit „doch, doch“ erwiderte, es sei ja nicht viel Arbeit.)

Ob es irgendwann so weit kommt, dass diese Art zeitfressender Aufgaben an Unis so im Allgemeinen in gleichen Teilen von Männern und Frauen ausgeführt werden, weiß ich nicht.

Denn erstens ist die Tendenz, dass sie Frauen zugetragen werden, mitnichten böser Wille. Ich bin mir sicher, dass keiner, der jemanden sucht, der/die sein Seminar übernehmen könnte oder bei anderen organisatorischen Aufgaben helfen könnte, erst alle Herren aus der Doktorandenliste herausfiltert und dann nacheinander die Damen abarbeitet. Der Bias ist ein unterbewusster.

Und zweitens, sorry Alice, gibt es nun einmal gewisse Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Ich weiß, dass es Männer gibt, die ganz bezaubernde Glückwunschkarten schreiben, aber zumindest unter meinen Kollegen hat die weibliche Dominanz in diesen Dingen einen Grund.

Einziger Haken: Wenn Frauen ständig Sachen organisieren oder Seminare von ihren Kollegen übernehmen, haben sie weniger Zeit für ihre eigene Forschung. Und das macht ihre Forschung wahrscheinlich nicht besser.

Dies führt zu Punkt 2:

Punkt 2: Der Quoten-Faktor

Ein Snapshot:

Letzten Sommer. Eine Konferenz für experimentelle Sozialwissenschaften. In der Auftaktveranstaltung rühmen sie die Herren Professoren, ebenso viele Frauen wie Männer eingeladen zu haben.

Mein Panel: Samstag früh, 9.30-11.00 Uhr. Vier Papers sollen vorgestellt werden. Drei Vortragende erscheinen.

Paper 1

Ladies first, ich beginne: 20 Minuten. Alles schläft. Alle paar Minuten öffnet sich die Tür und ein weiterer Herr erscheint um sich dann, nicht besonders leise, einen Platz zu suchen. Der Vortrag endet, wahrscheinlich aus Mitleid, mit zwei irrelevanten Detailfragen. Zu dem Thema des Panels passte mein Paper auch eher so la la.

Paper 2

20 Minuten. Nach Folie 3 stellt Mann A aus dem Publikum die Sinnfrage. Mann B aus dem Publikum greift ein. Es entfacht sich eine eloquente Meinungsverschiedenheit zwischen Mann A und Mann B im Publikum. Über die vortragende Postdoktorandin wird in der dritten Person debattiert. Sie ist, eben wie das gesamte Publikum Wirtschaftswissenschaftlerin – das Spiel wahrscheinlich gewohnt – und lässt es stoisch über sich ergeben. (Hätte auch keine Chance gehabt.) Nach einigen Minuten vertagen die Männer, galant, die Diskussion auf nach dem Vortrag. Die Postdoktorandin setzt fort. Nach 20 Minuten unterbricht der (männliche) Chair, freundlich, aber: „Time’s up“.

Paper 3

Publikum vollzählig; Vortrag super. Es trägt der Senior Lecturer vor, der als Chair zugleich das Panel leitet. Interessierte Rückfragen; gute Diskussion. Nach 20 Minuten stellt er fest, dass Vortragender 4 noch immer nicht erschienen ist. Er fragt, gut gelaunt, das Publikum, ob wir nicht noch 20 Minuten weiterreden wollen. Of course!

In den 40 Minuten seines Vortrags wird mir klar, warum ich in diesem Panel sitze: ich bin eine Frau. Ein Großteil der experimentellen Sozialwissenschaftlicher sind Wirtschaftswissenschaftler. Wirtschaftswissenschaftler sind in der Regel männlich. Wenn von 100 eingereichten Abstracts also 80 von Männern und 20 von Frauen kommen und wir gleich viele Männer wie Frauen einladen müssen, nehmen wir von den Männern die Creme de la Creme und von den Frauen so ungefähr alle. Ich überlege, ob ein Lorem Ipsum-Abstract unter einem weiblichen Namen wohl durchgekommen wäre.

Wenn die Konferenz nicht gerade in Florenz gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich ziemlich frustriert gewesen.

Mir ist klar, dass irgendetwas gemacht werden muss, um Frauen in der Forschung zu unterstützen. Das Frauenwahlrecht hat sich vor hundert Jahren auch nicht alleine eingeführt. Aber – Quoten?

Ich will keine Quotenfrau sein. Ich will keine Frage stellen dürfen, weil in der Q&A Session nach einem Vortrag „noch eine Frau“ gesucht wird; ich will auf keiner Konferenz vorstellen dürfen, weil bis jetzt die Männer Überhand haben; und ich will bestimmt keinen Job kriegen, weil der andere Kandidat zwar vielleicht ein bisschen besser, aber, sorry, ein Mann, war, und das nicht an der Gleichstellungsbeauftragten vorbeiging.

Denn allein das Wissen um die Quote macht ein jegliches Erfolgserlebnis zunichte.

Und außerdem, bei dem ganzen Quotengehabe, warum eigentlich nur für Frauen? Meine PhD Kollegen kommen aus allen Ecken der Erde, aber so gut wie alle aus gut situierten, akademischen Familienverhältnissen. Fast keine Arbeiterkinder. Keine schwarzen Leute. Keine Rollstuhlfahrer oder Leute mit offensichtlichen Behinderungen. Wenn Quote, dann doch bitte à la Justin Trudeau. 

Also: Liebe Genderleute, macht euer Ding. Ihr habt ja Recht. Aber denkt euch doch was anderes aus als Frauenquoten.

Nett finde ich zum Beispiel Initiativen, die es einem leichter machen, andere Wissenschaftlerinnen in meinem Bereich kennenzulernen. Gerade sprießen aus jedem Fach Listen von Akademikerinnen und anderen unterrepräsentierten Leuten hervor (in Biologie, Chemie, Geschichte, den  MINT-Fächern,  NeurowissenschaftPhilosophie, Politikwissenschaft: Politikwissenschaft,  Tech und in vielen anderen Disziplinen. )

Und, @ quantitative Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler: Hier ist eine List von Frauen, die R benutzen. Es gibt da auch so eine  Konferenz in den USA, wo ihr nur Frauen eure Forschung vorstellen könnt. Ganz toll! Die Deadline für dieses Jahr ist in drei Wochen.

 

Was denkt ihr? Was sind eure Erfahrungen als Wissenschaftlerinnen? Als Wissenschaftler? Wir sind gespannt, eure Erfahrungen und Meinungen zu hören.

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