Keine Experimente!

Zehn todsichere Schritte sozialwissenschaftliche Experimente in den Sand zu setzen

Heute ist unsere Gastbloggerin aus England zurück: Christine Stedtnitz schreibt darüber, wie sozialwissenschaftliche Experimente garantiert nicht gelingen. 

Mehr über Christine und ihr Promotionsprojekt in Politikwissenschaft an der University of Essex erfahrt ihr auf ihrer Website und bei LinkedIn.

Nach dem Motto des besten Teeniefilms der 2000er und des besten Brexit-Plans des letzten britischen Außenministers heute ein 10-Punkte-Plan für sozialwissenschaftliche Experimente.

Experimente in den Sozialwissenschaften, das geht so: Du hast einen Raum voller Computer. Je mehr Geld, desto mehr Computer. Unseren Raum nennen wir Labor, oder, auf Englisch, ‘lab’, denn das klingt so wissenschaftlich. Nun brauchen wir noch Leute. Erstens Leute um die Experimente zu leiten und zweitens Leute um an den Experimenten teilzunehmen. Für beides sind Studis hervorragend geeignet. Am besten Bachelorstudis, je pleite desto besser. Hiwis heißen Studis herzlich Willkommen, erzählen ihnen, wo sie sich hinsetzen dürfen, wie das Spiel läuft und zahlen ihnen am Ende ihren gerechten Lohn von 8 Pfund pro Stunde. In Essex braucht es für diesen hochqualifizierten Job einen Doktoranden. Mindestens. Zum Beispiel mich. Nachdem ich in diesem Sommer zum ersten Mal meine eigenen Experimente geleitet habe, gebe ich hiermit meine erfolgreich getesteten Tipps und Tricks an die nächste Generation weiter.

Keine Experimente! Bundestagswahl 1957. Bild: wikipedia

Wir starten am Beginn.

1. Spare am Speicherplatz. Zunächst einmal benötigen wir ein Medium auf dem wir unsere Experimente programmieren. Hervorragend eignet sich dazu ein dreieinhalbjahre altes 128GB MacBook Air. Denn sind wir nicht alle ein wenig Hipster? Außerdem:

2. Fokus! Keine Ablenkung. Vor allem nicht von E-mails, denn E-mails sind böse. Uni-E-mails mit Titel “URGENT: Password change required” und Inhalt “IF YOU DO NOT CHANGE YOUR PASSWORD WITHIN THE NEXT WEEK, YOUR ACCOUNT WILL BE LOCKED OUT. YOU WILL RECEIVE NO FURTHER WARNINGS!” ignorierst du. Beste Zeit für Protest, denn das ständige Passwortändern nervt dich schon seit drei Jahren und “keine passwortändernde Uni” ist nicht ohne Grund erstes Kriterium auf deiner Drei-Punkte-Check-Liste potentieller Postdocunis.

3. Bleibe deinem MacBook treu. Deine fertig programmierten Experimente testest du also ausschließlich auf deinem 128GB MacBook Air um sie dann ausschließlich auf Uniwindowscomputern einzusetzen.

4. Immer auf dem neuesten Stand. Dein 128GB MacBook Air schlägt dir ein Softwareupdate vor? Keine Sekunde verlieren. Sofort herunterladen. Besonders zu empfehlen ist der sofortige Download wenn du mit command line oder git arbeitest, denn da macht das Update mit Sicherheit irgendetwas kaputt.

5. Fülle das Sommerloch. Du wartest, bis alle Studis weg sind. Gemütlicher. Solltest du im Labor irgendwelche Ansprechpartner für Bagatellen wie Bargeldbeschaffung haben, wartest du noch ab, bis die im Urlaub in Amerika sind und schon geht’s los. Ach nein, erst ein Pre-Test. Ein Pre-Test ist absolutes Muss jedes professionellen Experiments. Also:

6. Kein Stress mit Pre-Test. Pre-Tests sind ungemein wichtig um zu gucken ob:

Deine Software funktioniert.

Deine Teilnehmer verstehen, worum es geht.

Deine Daten richtig erfasst werden.

Leute mit massig Laborzeit planen mindestens eine Woche ein. Alles Spießer. Hast du Dienstag mittags um 12 also dein erstes Experiment, gibt es keine bessere Zeit als Montag Abend um 6 um es zu pre-testen. Als nächstes stellt sich die Browserfrage. Klar:

7. Benutze Internet Explorer. Bewährt seit 1995. Denn zumindest oTree (die neue coole Hipster-Experimentiersoftware) ist nicht für Internetexplorer gemacht. (Dem WiMi, der mir diese Weisheit zugetragen hat, gilt mein ewiger Dank, mein zweitewiger Dank der HiWi, die mir alles auf Chrome umgestellt hat.)

8. Texte deine Teilnehmer zu. Es ist allgemein bekannt: Studis lieben Lesen! Am liebsten lesen sie Fragestellungen und Einführungstexte. Je wichtiger die Frage desto ausführlicher beschreibst du sie. Einheitlich in Schriftgröße 12.

Nun müssen wir noch für Stimmung sorgen. Wir arbeiten, wie es sich für akademische Anti-Kapitalisten gehört, mit finanziellen Anreizen. Und die reizen wir voll aus:

9. Maximiere die Unterschiede. Wenn der Mindestlohn bei 5 Pfund liegt, sieh zu, dass in etwa die Hälfte deiner Teilnehmer 5 Pfund verdient, und die andere Hälfte mindestens 10.

Aber: Wie viele Experimente pro Tag? Und pro Woche? Und wie viele Teilnehmer pro Experiment? Klar:

10. Setze alles auf eine Karte. The more the merrier. Wenn dein Lab 32 Computer hat lädst du 32 Leute ein. Wenn du einen Block von 6 Stunden kriegen kannst planst du 6 Experimente hintereinander. Und morgen ist da Lab auch frei? Dein Glückstag.

Wenn du nun nach zwei oder drei Tagen dein gesamtes Budget auf den Kopf gehauen hast, und keine Sekunde früher, wirfst du einen ersten Blick in deinen Datensatz.

Grund für Panik? Nicht doch! Denn wir alle wissen: in der Wissenschaft zählen zweierlei Dinge: Fußnoten und übertragbare Kompetenzen, oder „transferrable skills“. Nach erfolgreicher Ausführung meines Zehn-Punkte-Plans taufst du dein Teil ‘Pre-Test’ und die Fußnote deines Papers ist gesichert. Übertragbare Kompetenzen von heute: Massig Erfahrung im Spiel erklären und Lohn auszahlen. Sollte das mit der akademischen Karriere also nichts werden, werde ich Brettspielerklärerin.

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