Keine Zeit – Wie soll ich mit all diesen Nebenprojekten umgehen?

Fast alle Doktoranden kennen das Gefühl einfach nicht genug Zeit für die Promotion zu haben. Manchmal sind es Lehrverpflichtungen, die einen total einnehmen oder organisatorische Aufgaben. Insbesondere in den Naturwissenschaften sind es oft auch wissenschaftliche Nebenprojekte beziehungsweise die Projekte von Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeitsgruppe oder Kollaborationen mit anderen Arbeitsgruppen.

Dazu kommt noch die Zeit, die man damit verbringt Dinge zu lernen, die man für die Promotion braucht und im Studium irgendwie nicht mitgenommen hat: Bildbearbeitung, Statistik, Programmieren oder eine Fremdsprache.

Im vergangene Jahr habe ich einen Workshop zum Thema „Negotiation Skills für PhD candidates“ mitgemacht. In der Vorstellungsrunde sollte man eine Situation nennen in der man sich wünschen würde souveräne verhandeln zu können und ratet mal welche Situation mit dem stärksten Nicken und „das frag ich mich auch!“ kommentiert wurde. Genau diese: Jedes Mal wenn mein Prof von einer Konferenz oder einem Meeting zurück kommt hat er/sie neue Ideen was ich auch noch machen soll!

Haben wir also wirklich nicht genug Zeit für die Promotion? Ich möchte eine gewagte These aufstellen: Eine wissenschaftliche Arbeit ist Teamwork und wenn du nur an deinem eigenen Projekt arbeitest, machst du was falsch.

Die wichtigste Erkenntnis im Umgang mit Nebenprojekten ist also sie als ganz normalen Teil der wissenschaftlichen Arbeit zu sehen und nicht als aufdringliche Zeitfresser. Vor allem brauchst du dann keine Zeit darauf zu verwenden dich über diese Anfragen zu ärgern.

Außerdem kann man in Nebenprojekten auch jede Menge lernen zum Beispiel über andere Methoden oder Themengebiete. Vielleicht rutscht du damit in ein total spannendes neues Gebiet rein. Gerade bei Orgaaufgaben lernt man oft viel darüber wie Dinge an der Uni laufen, wer was entscheidet und wer wofür verantwortlich ist. Vielleicht lernst du auch noch ein paar ganz neue life skills: Flyer designen, Catering organisieren oder Soundanlagen bedienen.

Trotzdem ist es natürlich auch richtig, dass dein Tag nur 24 Stunden hat und in annehmbarer Zeit mit deiner Promotion fertig werden willst. Außerdem sollten dir ausreichend Zeit für Schlafen, Essen, Sport, deine Freunde und Familie und dich selbst bleiben, auch um dem Dissertation Blues zu entgehen.

Multitasking ist keine Lösung für dieses Problem. Du würdest ja auch nicht beim Autofahren SMS schreiben, dabei sind weder Autofahren noch SMS schreiben besonders anspruchsvolle Aufgaben. Außerdem gibt es noch den Effekt des „attention residue“ also des Aufmerksamkeits-Überbleibsel. Von diesem Phänomen habe ich zum ersten Mal in Cal Newports Deep Work gelesen. Grundlage ist dieses Paper von Sophie Leroy mit dem Titel „Why is it so hard to do my work“?

Sie legt dar, dass, wenn wir von einer Aufgabe zur nächsten springen, ein Teil unserer Aufmerksamkeit an der alten Aufgabe kleben bleibt und wir die nächste somit nicht mit vollen Fokus bearbeiten können. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn die alte Aufgabe nicht abgeschlossen wurde und verringert sich unter Zeitdruck.

Es macht also Sinn sich zu überlegen wie man gut mit Anfragen und Nebenprojekten umgehen kann, sodass sie deinen Arbeitsstil am wenigsten Stören. Ich schreibe euch mal ein paar Tipps dazu auf, die ich ganz hilfreich finde. Einiges davon ist ziemlich auf den Laboralltag angelegt, aber anderes funktioniert auch fürs allgemeine Büro.

1.Dringende Aufgaben

Gerade im Labor gibt es immer mal wieder Notfälle. Ein Gerät funktioniert nicht richtig, die Klimaanlage fällt aus oder ein nicht-zu-lokalisierendes Piepen tritt auf. Diese Probleme müssen sofort gelöst werden. Tagesplanung hin oder her, da hilft nur sich nicht ärgern und anfangen.

2. Kleine Anfragen, die dich per Mail erreichen

Prinzipiell lasse ich mein Mailprogramm nicht auf, um nicht ständig von ankommenden Mails unterbrochen zu werden. Ich schaue etwa dreimal am Tag in mein Postfach aber nie als erstes. Außer nach Urlauben, da muss man erst mal sehen was so passiert ist. Wenn du dann in deiner Mail-check-Zeit eine Mail mit einer kurzen Frage oder leicht zu erfüllenden Bitte bekommst, mach das einfach sofort. Dann kannst du es direkt abhaken und brauchst keine Kapazitäten darauf zu verschwenden, dir diese Aufgabe zu merken.

3. Große Anfragen, die dich per Mail erreichen

Lässt sich die Aufgabe nicht in weniger als 15 Minuten erledigen, überlege dir wann du diese Aufgabe erledigen kannst (dringende Aufgaben erreichen mich selten per Mail, sondern meist per Telefon) und schreib direkt zurück wann dein Kollege mit den Ergebnissen rechnen kann. Am besten du schätzt die Zeit großzügig ein.

4. Aber was ist mit meinem Prof???

Anfragen von deinem Prof haben natürlich einen besonderen Stellenwert. Zum einen sind sie oft besonders wichtig und zum anderen sind sie häufig anspruchsvoll.

Außerdem geht es dabei oft um deine Forschung. Deine Chefin hat vielleicht von einer neuen spannenden Methode gehört oder jemanden getroffen der euch plötzlich Zugang zu einem neuen Gerät/ neuer Expertise bietet.

Eigentlich doch super Neuigkeiten! Und oft ist man ja froh, dass die Chefin sich auch um da Projekt kümmert und man weitere Unterstützung bekommt.

Es kann aber ein paar Situationen geben, in denen es schwierig wird. Das ist vermutlich auch die Erklärung dafür warum es auf phdcomics eine ganze Reihe von Comics zu diesem Thema gibt (hier, hier und hier).

Also, was wenn ich die Idee meines Professors für Quatsch halte? Denk auf jeden Fall nochmal drüber nach. Die meisten Leute werden nicht Prof, weil sie keine Ahnung haben. Vermutlich irrst du dich. In diesem Fall nicht? Dann ist das im Prinzip gar kein großes Problem. Wenn du weißt warum du Aktion xy für schwierig oder unmöglich hältst dann sag das einfach. Die meisten Professoren sind durchaus offen für rationale, wissenschaftliche Argumente (falls nicht, gehe direkt zu Punkt 5).

Oder vielleicht hast du gerade schlicht keine Zeit für ein weiteres Projekt. In dem Fall sollte man diskutieren ob man stattdessen andere Projekte weglassen oder auf Eis legen möchte. Meistens möchte man ja nicht so gerne sagen, dass man keine Zeit hat beziehungsweise, dass man nicht regelmäßig am Wochenende arbeiten möchte. Oft gibt es ja aber auch andere Ressourcen die begrenz sind. Vielleicht kann man das Labor/ den Setup nur an bestimmten Tagen nutzen, vielleicht erfordert das Projekt zwei Personen und man muss sich mit einem Kollegen koordinieren.

Und was, wenn du eigentlich mit deinen Experimenten fertig bist? Dann hilft es vielleicht direkt vorzuschlagen, dass ein jüngerer Doktorand mit in das neue Thema einsteigt und du diese Aufgabe bald an ihn abgeben kannst.

Außerdem bekommt man mit der Zeit auch ein Gespür dafür, welche Projekte deinem Prof wichtig sind und welche in drei Wochen vergessen sind.

5. Es gibt Grenzen

Es gibt Grenzen, und wenn deine Kollegen oder dein Chef sie überschreiten, dann solltest du etwas tun. Oft hilft sicher ein Gespräch, auch wenn es unangenehm ist. Wenn gar nichts mehr geht, gibt es an jeder Universität Anlaufstellen für solche Probleme. Das kann der Personalrat der wissenschaftlich Beschäftigten sein, die Doktorandenvertretung des ASTA oder das Gleichstellungsbüro. Oft gibt es auch eine eigene Beratungsstelle für Mitarbeiter der Universität, die bei Konflikten und Problemen hilft.

6. Zeig woran du arbeitest

Es ist nie gut, wenn dein Prof denkt du hättest zu wenig zu tun. Vermeide es diesen Eindruck zu erwecken! Außerdem ist es gut, wenn deinem Prof klar ist an wie vielen Nebenprojekten du schon arbeitest. Meisten gibt es ja regelmäßige Besprechungen bei denen man sowieso aufgefordert ist zu erzählen woran man arbeitet. Aber es schadet auch nicht in der Mittagspause mal zu erwähnen, dass xy jetzt gut funktioniert, dass du mit soundso einen Termin ausgemacht hast oder dass ihr etwas ausprobiert habt und noch auf die Ergebnisse wartet.

Außerdem solltest du unbedingt erzählen, wenn jemand anderes etwas für dich übernommen hat oder dir geholfen hat.

Ich glaube es wird in den meisten Arbeitsgruppen durchaus gesehen und wertgeschätzt, wenn man Kollegen unterstützt und auch ein paar Nebenprojekte übernimmt. Ich glaube oft wenn wir denken nicht genug Zeit für die Promotion zu haben, lernen wir sehr viele nützliche Dinge für unser Projekt und machen Wissenschaft im Team, was fast immer am besten funktioniert.

 

 

 

 

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