Networking: The strength of weak ties

Nachdem ich in diesem Artikel schon ein paar Tipps für den Small Talk auf Konferenzen aufgeschrieben habe, geht es heute darum, was diese Small-Talk-Kontakte für uns bedeuten.

Sicherlich hast du auch schon das ein oder andere Seminar besucht, in dem die Wichtigkeit von Networking beschworen wurde. Nur, warum ist es denn so wichtig? Warum sollten diese Leute, die ich ein- oder zweimal im Jahr sehe, so einen Einfluss auf mein Leben haben? Warum sollte ich mich mit anstrengendem Small Talk aufhalten? Und ist dieses ganze „Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat.“-Getue nicht irgendwie eklig?

Meg Jay, Autorin des Buches „The Defining Decade: Why Your Twenties Matter and How to Make the Most of Them Now“ beschreibt darin das Phänomen der weak ties und hat mir damit eine ganz neue Perspektive aufs Networking eröffnet. (Meine etwas peinliche Leidenschaft für Ratgeberbücher kommt euch echt zu Gute.)

Jay beginnt das Kapitel gleich mit einer echten Provokation: „The urban tribe is overrated.“. Nachdem uns von Friends über Sex and the City bis zu How I Met Your Mother die Popkultur seit Jahrzehnte zeigt, dass Freunde die neue Familie sind und man an allem scheitern darf aber nicht daran seine Clique (oder tribe) zu finden! Jay erkennt an, dass unsere engen Freunde uns wichtige emotionale und praktische Unterstützung geben. Sie argumentiert aber, dass die Herausforderungen und neuen Ideen, die unser Leben verändern können, fast nie von ihnen kommen.

Sie beschreibt eine der ersten Studien zum Thema Soziale Netzwerke vom Soziologen Mark Granovetter.  Er interessierte sich für soziale Netzwerke und dafür, welche Verbindungen den größten Einfluss auf das Leben des Einzelnen haben. Genau schaute er sich dabei an, wie Arbeiter in einem Bostoner Vorort, die gerade einen neuen Job angefangen hatten, an diesen gekommen waren. Es stellte sich heraus, dass zumeist lose Bekannte und nicht enge Freunde oder Familienangehörige den Arbeitern entscheidend geholfen hatten. Er definierte den Begriff weak ties als Menschen die man regelmäßig sieht aber nicht gut kennt oder auch Menschen, die man nur sehr selten sieht oder mit denen man nur eine Gemeinsamkeit wie den Arbeitgeber oder das Fitnessstudio teilt. Die original Publikation (von der diese Studie nur ein kleiner Teil ist) findet ihr hier.

Weil mir, und auch dem deutschen Wikipedia Artikel zu Granovetter, keine guter Übersetzung für weak ties und strong ties eingefallen ist, bleibe ich einfach bei den englischen Begriffen.

Die Schwächen von strong  ties

Besonders interessant fand ich den Teil über die Nachteile von engen Cliquen. Jay berichtet hier von der Soziologin Rose Coser, die den Begriff „the weakness of strong ties“ prägte: Da Menschen dazu neigen sich mit solchen Menschen anzufreunden, die ihnen ähnlich sind, sind Cliquen oft inzestuös. Unsere engsten Freunde wissen oft genauso wenig und vor allem das Gleiche über Jobs oder Beziehungen wie wir.

Solche Cliquen beeinflussen auch die Art, wie wir sprechen. Eng verknüpfte Gruppen teilen ein bestimmtes Vokabular oder Slang und vor allem Ansichten über die Welt. Daher nutzen sie sogenannte „restricted speech“, in der es nicht nötig ist seine Gedanken oder Schlüsse vollständig zu erklären, da man davon ausgeht, dass einen das Gegenüber ohnehin versteht.

Weak ties hingegen haben andere Vorstellungen von der Welt und so müssen wir ihnen Gegenüber die sogenannte elaborate speech benutzen. Man erklärt dann seine Gedankengänge genauer, sodass jemand von einem anderen Hintergrund sie verstehen kann.

Jay findet deutliche Worte für die Schwäche solcher Cliquen: „Hanging out with them [the urban tribe] can limit who and what we know, how we talk, and ultimately how we think.”.

Daher auch ihr Fazit, dass Neues fast nie aus unserem engsten Kreis kommt, sondern die weak ties unseres Netzwerkes das meiste Potential haben unser Leben plötzlich und grundlegend zu verändern.

Der Benjamin-Franklin-Effekt

Aber wieso sollte mir jemand, den ich kaum kenne helfen? Mir jemanden vorstellen, mir Informationen zur Verfügung stellen oder mich sogar empfehlen? Darauf antwortet Jay mit einer eigentlich altbekannten Weisheit: It’s good to be good. Menschen helfen gerne, denn wir fühlen uns gut, wenn wir helfen. Das gilt aber nur, wenn die Anfrage unsere Kapazitäten nicht übersteigt.

Darüber hinaus helfen uns Menschen, die uns einmal unterstützt haben lieber und umfassender ein weiteres Mal wie Jay anhand von Benjamin Franklin zeigt. In den späten 1700er Jahren war Franklin ein Landespolitiker in Pensylvannia und wollte sich mit einem anderem, wichtigeren Politiker gut stellen. Er hatte gehört (so schreibt er in seiner Biographie), dass dieser Politiker ein besonderes und seltenes Buch in seiner Bibliothek hatte. Also schrieb er ihm einen höflichen Brief und bat darum das Buch ausleihen zu können. Der wichtige Mensch schickte ihm das Buch zu, Franklin behielt es eine Woche und schickte es mit einem Dankesbrief zurück. Als sie sich das nächste Mal trafen, war der wichtige Politiker ausgesprochen freundlich zu ihm, obwohl er das zuvor nicht gewesen war.

Wenn Menschen, die uns noch nicht so gut kennen, einen Gefallen tun, mögen sie uns mehr. Nicht nur wie wir über jemanden Denken beeinflusst unser Handeln ihm gegenüber, sondern auch wie wir jemandem gegenüber handeln, beeinflusst wie wir über ihn denken. Also bringt eurem nervigen Kollegen doch mal einen Kaffee mit!

Jay betont nochmal was Franklin richtig gemacht hat: Er hat seine Interessen und die des wichtigen Politikers zusammengebracht und sich dadurch als relevante und interessante Person positioniert und er hat höflich um einen Gefallen gebeten, der den Anderen nicht viel Zeit kostet. Außerdem hat er sich danach gemeldet, um sich zu bedanken und vermutlich ein oder zwei Aspekte zu nennen die ihm an dem Buch besonders gefallen oder geholfen haben.

Und im echten Leben?

Tatsächlich kann ich viele von Jays Thesen mit anekdotischen Beweisen („anekdotische Beweise“ ist eines meiner liebsten Oxymora) stützen. 2016 traf ich auf einer Konferenz einen Kollegen aus den USA, der ähnliche Methoden nutzt wie wir. Als wir einige Zeit später Daten aufnahmen, die wir uns nicht so recht erklären konnten, schrieb ich ihm eine Mail und bat um Hilfe. Gleich am nächsten Tag hatte ich eine Mail mit seinen Theorien und ein paar Papern, die er dazu kannte im Postfach.

Ein Jahr später diskutierte ich an meinem Poster mit einem Kollegen aus England, der die MRT-Sequenz, die wir benutzten auch ausprobieren wollte. Wir haben dann noch ein paar Monate Mails in und hergeschrieben und ich habe ihm meine Tipps und Erfahrungen mitgeteilt. Denn es fühlt sich tatsächlich gut an jemanden helfen zu könne. Außerdem fühlt es sich gut an, als Experte für etwas zu gelten. Tatsächlich erwähnten sie mich in den Danksagungen ihres Papers, worüber ich mich total gefreut habe.

Jay schreibt in dem Kapitel auch, dass solche Kontakte dazu führen, dass einem die Arbeitswelt nicht mehr so groß und angsteinflößend erscheint und das kann ich total bestätigen. Dadurch, dass man mit Namen auf Papern Menschen verbindet, die einem vielleicht auch schon mal geholfen haben, wirkt die scientific community tatsächlich wie eine Gemeinschaft. Man mag fast daran glauben, dass wir gemeinsam an wichtigen wissenschaftlichen Fragen arbeiten und nicht nur daran das nächste Nature-Paper vor den Anderen zu publizieren.

Unter diesem Aspekt, dass man eigentlich gerne hilft und sich mit einem Netzwerk von positiven Kontakten sicherer und mehr als Teil einer Gemeinschaft fühlt, finde ich Networking durchaus positiv und gar nicht eklig. Sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen ist in Zeiten des Populismus auch negativ belegt aber es bleibt ein Grundbedürfnis den Menschen. In Cliquen herrscht oft ein wir-gegen-die Denken, und sei es nur wir-die-Schlager-mögen gegen die-die-diese-Popsoße-hören. Denn gerade die Gemeinsamkeiten in Abgrenzung zu Anderen, ermöglichen die Clique. Große Gemeinschaften wie die Gemeinschaft der Neurowissenschaftler, die Gemeinschaft derer, die was mit Medien machen, oder die Gemeinschaft derer, die in Unternehmen xy arbeiten, sind oft durchlässiger, auch weil die Zahl der potenziellen neuen Mitglieder so groß ist.

Außerdem fand ich den Anstoß, dass weak ties deinen Horizont erweitern, eben weil sie dir nicht ähnlich sind, total spannend. Es ist auch eine gute Erinnerung außerhalb des beruflichen Umfeldes mit Menschen in Kontakt zu kommen, die nicht deinem kulturellen Kontext, deiner soziale Schicht oder deiner Altersgruppe entsprechen. Das geht zum Beispiel besonders gut in Kirchengemeinden, Sportvereinen oder bei Stadtviertelaktionen.

 

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