Oh, Schreck, die Disputatio! Kann eine Verteidigung Spaß machen?

Lass die Korken knallen! Du hast es verdient.

Es ist schon gemein: Man hat Jahre seines Lebens in die Doktorarbeit gesteckt, hat Wochen damit verbracht, jeden Kommafehler auch in Fußnote 1123 zu finden, man kann ganze Textpassagen im Schlaf rezitieren. Dann ist die Arbeit endlich abgegeben und ehrlich gesagt,  man will sie nie mehr wieder sehen. Dann hört man erst einmal lange nichts – und das ist auch gut so, denn man will das Ding nie wiedersehen. Je nach Prüfungsordnung und Praxis am Lehrstuhl bekommt man nach einigen Monaten die Note mitgeteilt, hat vielleicht sogar Einsicht in die Gutachten. Und egal, wie gut die Gutachten sind und wie gut die Note ist, man ärgert sich (und wenn ich „man“ sage, meine ich natürlich „ich“) – was der Gutachter bemängelt, hatte ich doch extra in einer Fußnote erklärt, außerdem hat er xyz völlig falsch verstanden, und hat er die Arbeit überhaupt ganz gelesen?

Und dann kommt der Tag, an dem ich mich dem Ganzen noch einmal aussetzen muss, an dem ich die Arbeit aus der Schublade, wo sie sich doch so wohl gefühlt  hat, wieder herausholen muss. Urgh! Und dafür werde ich auch noch benotet!

Meine eigene Disputatio ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her. Obwohl ich froh bin, dass das Ganze vorbei ist, hat mir die Disptuatio tatsächlich (und völlig unerwartet) Spaß gemacht. (Ich weiß, so ein Nerd!). Klar war ich ziemlich aufgeregt, aber als es einmal angefangen hatte, hat sich das relativ schnell gelegt. In den meisten Geisteswissenschaften hat die Disputatio das übliche Vortragsformat, das man auch aus Kolloquien kennt: Erst trägt man vor (bei uns 30 Minuten, obwohl die Länge nicht in der Prüfungsordnung festgelegt ist), dann folgen 60 Minuten Diskussion. Fragen stellen durften übrigens außer den Gutachtern nur Promovierte (sinnbildhaft für das standing des wissenschaftlichen Nachwuchses in der deutschen Wissenschaft?!).

Ich bekomme die Chance, es besser zu machen

Ich hatte meine Arbeit mit gemischten Gefühlen abgegeben – ich konnte einfach nicht mehr, wollte fertig sein und war zu dem Zeitpunkt der Meinung, eine bessere Arbeit könne ich einfach nicht schreiben – nicht, weil die Arbeit perfekt war, sondern weil ich nicht mehr konnte. Kaum abgegeben, beschlichen mich Zweifel: Diesen oder jenen Punkt hätte ich noch viel stärker betonen sollen, einige Zusammenhänge hätte ich erläutern müssen, könnte man nicht gegen den einen Satz auf Seite 234 noch folgende Gegenargumente einwenden…? Vor allem aber hatte ich das Gefühl, dass die Arbeit immer noch aus lauter losen Fäden bestand, die ich am Ende nur mühsam wieder zusammengeflickt hatte – sagen wir, wie ein fransiger Rand eines Ikea-Teppichs, nicht ein gut versäumter Perserteppich.

Die Disputatio gab mir die Gelegenheit, mich noch einmal einen Schritt zurückzustellen und mir Gedanken zu machen: Was wollte ich eigentlich sagen mit der Arbeit? Was sind die großen Linien? Was hält die Kapitel zusammen? Dafür war es gut, einige Monat Zeit und Abstand von der Arbeit zu haben. Tatsächlich fand ich es fast wohltuend, diese großen Linien für meinen Vortrag noch einmal herauszuarbeiten und zu betonen. Das, was ich in der eingereichten Dissertation nicht (für mich) zufriedenstellend geschafft hatte, konnte ich jetzt nachreichen und vor allem mich selbst davon überzeugen, dass das vielleicht doch ein paar gute Gedanken dabei gewesen waren (oh, das impostor Syndrom…). Die Verteidigung war für mich auch eine Versöhnung mit der eigenen Arbeit.

Ich kann Stellung nehmen

Ich hatte das Glück, dass meine Prüfungsordnung Einsicht in die Gutachten erlaubte und sie mir auch gewährt wurde. Dadurch wusste ich relativ genau, in welche Richtung die Kritik meiner Gutachter ging – und ich konnte dazu Stellung nehmen. Ich habe versucht, die Kritik erst einmal einige Tage auf mich wirken zu lassen, bevor ich mich an den Vortrag gesetzt habe. So konnte ich herauszufiltern, womit ich einverstanden war und wo ich mich falsch verstanden fühlte (bzw. was ich besser hätte erläutern sollen oder stärker betonen sollen, um Missverständnissen vorzubeugen). Auf diese Kritik habe ich dann versucht, im Vortrag einzugehen – natürlich  nicht direkt („Sie hatten ja bemängelt, dass…“), sondern durch das, was ich gesagt habe. So hatte mein Vortrag eine etwas andere Struktur als die Diss., um mein Argument – den roten Faden – besser zu betonen.

Außerdem bot der Austausch mit meinen Gutachtern, der auf den Vortrag folge, die Gelegenheit, auf ihre Kritikpunkte direkt zu reagieren. Daraus ergab sich eine Diskussion, die sogar Spaß gemacht hat, denn:

Zeit für Nerd talk!

Ganz ehrlich: Wer sich drei bis vier Jahre lang nur mit einem Thema beschäftigt, der ist ein Nerd. Während all der Jahre, die ich an der Diss. gearbeitet habe, hatte ich nie so intensiv die Gelegenheit, „straflos“ über mein Thema zu reden mit Leuten, die nicht irgendwann „sich etwas Neues zu trinken holen“ mussten oder „auf die Toilette“ entweichen konnten. Meine Gutachter werden dafür bezahlt, mit mir mein Thema zu diskutieren – und nachdem ich so viel Energie in diese Arbeit gesteckt habe, finde ich das toll!

Als Historikerin hat es mir besonderen Spaß gemacht, Quellen für die Powerpoint-Präsentation auszusuchen. An einigen Motiven oder Formulierungen hatte ich so viel Spaß – jetzt konnte ich sie mit meinem Publikum teilen!

Sich vom Druck der Note befreien

Damit der Nerd talk Spaß macht, fand ich es wichtig, mich vom Druck der Notengebung zu befreien. Wenn man ein bisschen strategisch denkt, ist das gar nicht so schwer. Wenn dir deine Gutachterinnen ein summa geben wollen, dann tun sie das – da musst du dich schon auf den Kopf stellen bei der Verteidigung, um sie davon wieder abzubringen. (Das heißt natürlich nicht, dass sie dich nicht auf Herz und Nieren prüfen werden – aber sie sind willens, diese Note zu vergeben und werden das auch tun, wenn du deinen Teil dazu beiträgst. Und das wirst du, schließlich bist du ja ein Mensch, der im Stande ist, eine summa Arbeit zu schreiben). Wenn deine Gutachter sich auf ein magna eingeschossen haben, hast du nichts zu verlieren: Eine summa Verteidigung fühlt sich gut an, ändert aber an der Note nichts. Das ist auch okay, magna ist ja auch eine gute Note. Und wenn deine Gutachter der Meinung sind, auch cum laude sei eine gute Note, dann – naja, dann gilt erstens dasselbe wie bei magna und zweitens wirst du sowieso so viel Wut im Bauch haben, dass es dir viel wichtiger ist, zu der Kritik Stellung zu nehmen und, im wahrsten Sinne des Wortes, deine Arbeit zu verteidigen.

Feiern!!

Und schließlich: Wenn du dir nur einmal im Leben eine Flasche Veuve Cliquot gönnst, dann ist das der Anlass. Also: lass es krachen! Du hast es verdient.

In diesem Sinne: Viel Spaß bei der Disputatio!

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