Und noch einmal: Frauen in der Wissenschaft

Endlich zurück aus der Stille. Heute – nach einer viel zu langen Pause, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen bei uns ergeben hat – melden wir uns mit einem neuen Post zurück. Heute geht es mir nochmals um ein Thema, dass wir zwar schon mal auf dem Blog diskutiert haben – das meines Erachtens aber nicht genug Aufmerksamkeit bekommen kann: Frauen in der Wissenschaft. Gibt es sie? Und wenn ja, wie viele und wo sind sie? Ich habe mir mal eine aktuelle Studie dazu angesehen und finde die Ergebnisse … naja, sagen wir mal, ausbaufähig.

Der Anteil von Frauen sinkt noch immer mit jeder Qualifikationsstufe

Es ist ja doch erstaunlich, dass auch im neuen Jahr 2022 noch immer das Thema Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung von Relevanz ist. Sind wir da nicht längst viel weiter? Gibt es da nicht wichtigere Themen? Ein klares Jaein meinerseits. Auch dieses Thema muss meiner Meinung nach immer wieder betont werden. Denn, wie der Bericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) in seiner 25. Fortschreibung zu „Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen“ erneut bestätigte: Der Anteil von Frauen sinkt im Anschluss an die Studienabschlüsse noch immer mit jeder weiteren Qualifikations- und Karrierestufe. Durch diese sogenannte „leaky pipeline“ gehen kluge, wissbegierige und hoch qualifizierte Frauen für das (deutsche) Wissenschaftssystem verloren. Das ist doch nicht nur ärgerlich für die Wissenschaft und für die Zukunft von Forschung – es weist auch auf die weiterhin bestehende Ungleichheit und die dem System inhärente Ungleichbehandlung von Frauen hin.

Dem Bericht ist eine Sonderauswertung beigelegt, die eine Bilanz aus 30 Jahren Geschlechtergleichstellung in der Wissenschaft zieht. Fazit: Die Schere zwischen Frauen und Männern, die sich 1992 bereits bei den Studienanfänger*innen auftat, öffnet sich heute erst bei den Studienabschlüssen und geht sodann „erst“ bei den abgeschlossenen Promotionen so richtig auf – aber ab dann driften die Verlaufskurven richtig stark auseinander. Die Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen in Führungspositionen wird spätestens bei den abgeschlossenen Promotionen und den Besetzungen von Professuren so richtig deutlich. Bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist es sogar nochmals dramatischer – dort sind nur knapp 20% der Führungspositionen mit Frauen besetzt. Wieso? Gibt es keine guten Wissenschaftlerinnen und Expertinnen da draußen? Wohl eher nicht – denn beispielsweise sind im Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft sechs Frauen (davon die Präsidentin und die Generalsekretärin) und fünf Männer; der Wissenschaftsrat wurde 2017-2020 von einer Vorsitzenden geleitet und dieser Posten ist derzeit wieder von einer Frau besetzt. Und auch ihre weiteren Kommissionen sind paritätisch besetzt. Alles hochqualifizierte, intelligente Frauen. Aber an den klassischen Universitäten oder Forschungszentrum (in der Fraunhofer-Gesellschaft sind es zum Beispiel sogar unter 5%!)?

Wenn Frau es dann geschafft hat: Auch als Professorin heißt die Frage viel zu oft: „wer organisiert eigentlich den Kaffee?“

Auch wenn Frauen es dann auf eine Professur geschafft haben – auch hier herrscht weiter systematische sowie unreflektierte Ungleichbehandlung. Dies zeigt unter anderem die sehr lesenswerte Handreichung „Jenseits der Gläsernen Decke. Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung“, die auf qualitativen Forschungsinterviews beruht. Handlungsbedarf besteht also weiterhin, nicht nur bei der Repräsentation von Frauen in Führungspositionen an Hochschulen und den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Auch beim Zugang zu Ressourcen, im Einbezug in informelle Netzwerke, dem Zugang zu weiteren Karrierewegen und letztlich auch beim Gender Pay Gap.

Ja, auch in der Wissenschaft: Denn die meisten Frauen sitzen in den Unis auf den weniger gut bezahlten W1-Professuren (47%), während es bei den hochdotieren C4/W3-Professuren die Männer sind, die hier dominieren (Frauen liegen hier nur noch bei 21%). Gleichzeitig – so die Autor*innen der Handlungsempfehlungen – werden Frauen auch als Professorinnen weiterhin zumeist für sogenannte feminine und zugleich abgewertete Tätigkeiten angesprochen – ganz im Sinne des Zitats, wer für eine gemeinsame Arbeitssitzung eigentlich „den Kaffee organisiert?“. Somit verdienen Frauen als Gruppe auch meist weniger, es gibt weniger role models und noch weniger Unterstützerinnen, damit es nachkommende Generationen etwas leichter nach ganz oben schaffen. Hierbei ist gerade die Promotion ein einschneidender Moment. Warum nur? Wir gucken uns die Karrierephasen mal genauer an…

Die Promotion als Richtungsweiser

Zu nächst zeigt der Bericht der GWK eine Steigerung der abgeschlossenen Promotionen von Frauen seit 1992 um fast 17 Prozentpunkte. Das ist doch ziemlich gut, oder? Schaut man aber genauer hin wird deutlich, dass einerseits die Kurve in den letzten zehn Jahren tatsächlich eher stagnierte. Der Zuwachs entstandvor allem bis ins Jahr 2009 hin, danach ging nichts mehr. Außerdem wird deutlich: dort wo viele Frauen studieren (also z.B. in den Geistes- und Sozialwissenschaften), gehen überproportional viele Frauen auf dem Weg zur Promotion verloren. Beispielsweise machen Frauen in den Geisteswissenschaften 74% der Master-Abschlüsse, jedoch nur noch 53% der Promotionen in diesen Fächern werden von Frauen geschrieben. Das sind 21 Prozentpunkte weniger! Wahnsinn. Und danach? Diese Frauen entscheiden sich dann meistens wiederum für eine berufliche Karriere außerhalb der Universität. Denn die Daten zeigen auch, dass das promovierte wissenschaftliche Personal an Universitäten nur noch 37% Frauen umfasst. Und schließlich nur noch knapp 32% eine Habilitationsverfahren durchlaufen, bzw. die Berufungsquote auf eine Professur bei ca. 35% liegt (und da bewerben sich Frauen mehrheitlich auf die wiederum schlechter dotierten W1 Professuren). Frauen verlassen also das System vor allem während und nach der Promotion. Und woher kommt das?

Es ist uns und euch sicherlich nicht entgangen, dass das Wissenschaftssystem nicht immer ein besonders umsichtiger Arbeitgeber ist und war. Die Beschäftigungsbedingungen haben sich zunehmend verschlechtert und zudem sind wiederum Frauen stärker von Befristungen und von (unfreiwilliger) Teilzeit betroffen. 2019 waren beispielsweise 63% der Männer, aber 74% der Frauen befristet beschäftigt – und bei den Teilzeitkräften war die Differenz noch größer: 31% der Männer und zugleich 52% der Frauen (vgl. Bericht GWK). Das Geschlecht scheint also auch hier eine Rolle zu spielen – ob den Einzelnen bewusst oder nicht. Dabei macht der Bericht deutlich, dass entscheidender für den höheren Frauenanteil bei Teilzeitbeschäftigung die Hochschulstrukturen und nicht die individuellen Entscheidungen der Wissenschaftlerinnen sind (vgl. S. 14, Sonderbericht GWK). Klassisch wird auch hier diskutiert, dass Elternschaft sowie die fehlende Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Karriere von Bedeutung sind. Aber

„auch Elternschaft erklärt die Geschlechterunterschiede bei der Teilzeitbeschäftigung nicht vollständig: Zwar ist die vertragliche Wochenarbeitszeit bei Wissenschaftlerinnen, die Verantwortung für Kinder haben, niedriger als bei Wissenschaftlerinnen ohne diese Verantwortung, während Vaterschaft die Wochenarbeitszeit erhöht. Ob eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler promoviert ist, beeinflusst allerdings den Stellenumfang stärker als Elternschaft.“

GWK Sonderauswertung CEWS “30 Jahre Geschlechtergleichstellung in der Wissenschaft eine Bilanz”, S.14

Das heißt, entscheidener als die realisierte Elternschaft, ist der Stellenumfang, den Wissenschaftler*innen ergattern können – auf 5o% promoviert es sich offensichtlich schlechter, als auf 100%. Wer hätte das gedacht 😉

Familie und Wissenschaft schließen sich nicht aus

Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen: Auch Wissenschaftlerinnen bekommen Kinder und Wissenschaftler sind Väter! Familien sind kein extremer Ausnahmefall für den Arbeitgeber Hochschule – und Familie und Wissenschaft schließen sich nicht aus. Vereinbarkeit ist und war nie ein ausschließliches Frauenthema! Es ist eine Systemfrage und daher für alle relevant. Dennoch ist und bleibt die Phase der Familiengründung und Elternschaft auch in diesem Zusammenhang ein wichtiger Faktor. So scheint es, dass aber für den Verbleib (oder den Weggang) von Frauen in der Universität weniger die realisierte Familiengründung die wichtigste Rolle spielt, sondern die Erwartung von (un)überwindbaren Hindernissen und Herausforderungen von Bedeutung werden. Die Promotions- und Post-Doc-Phase fallen hier in eine Phase, in der Familiengründungen passieren (sollen), in der Planungen begangen werden (wollen) und die zugleich an Hochschulen mit vielen Unsicherheiten einhergehen. Dabei zeigen Studien, dass kinderlose Wissenschaftler*innen die erwartete Vereinbarkeit sogar noch negativer einschätzen, als solche mit eigenen Kindern. Es sind also nicht nur die erfahrenen (und oft dennoch ja sogar oft gemeisterten!), sondern die noch zukünftig erwarteten Hürden, die Wissenschaftlerinnen für ihre je individuelle Zukunft große Sorgen bereiten. Das heißt aber auch – wir müssen uns noch mehr um bessere Unterstützungsstrukturen einsetzen und diese einfordern. Beispielhaft sei hier das neu gegründete Netzwerk Mutterschaft und Wissenschfaft genannt. Vor allem die Universitäten müssen die Sorgen und Ängste, die (falschen) Erwartungen und möglicherweise auch die längeren Karrierewege von Frauen anerkennen, müssen sie annehmen und ihnen begegnen. Denn diese gesteigerte Erwartung einer ungebrochenen Unvereinbarkeit von Familie und Wissenschaft sagt bereits einiges über die aktuellen Bedingungen an den Hochschulen aus – unabhängig von tatsächlich erlebten (Un)Möglichkeiten.

Überschneidungen und Solidarität

Leider zeigt sich der Bericht der GWK zu Recht auch (selbst)kritisch, wenn es um die Frage von weiteren Überschneidungen mit anderen Diskriminierungsmerkmalen, wie sozialer Herkunft (aktuell kommen gerade mal 10% der Professorinnen aus sozial niedrigeren Herkunftsgruppen, wie Möller 2015: 216 in einer Studie gezeigt hat) oder rassifizierenden Zuschreibungen geht. Denn diese werden immer noch nicht systematisch miterfasst und zu der sozialen Selektivität, denen Frauen auf dem Karriereweg in Universitäten und Forschung begegnen müssen, kommen für viele Frauen auch noch weitere Ungleichheitsmomente hinzu. Auch das will bedacht sein, wie die Debatten um #IchbinHanna und #IchbinReyhan deutlich gezeigt haben. Was heißt das alles also?

Meiner Meinung nach heißt das zunächst: Wir sollten uns weiter gegenseitig unterstützen! Uns auf unseren Karrierewegen gegenseitig stärken (nicht nur wir Frauen*! sondern wir alle), uns gegenseitig auf Unterstützungsstrukturen, Netzwerke und Veranstaltungen hinweisen und Unterstützung auch immer wieder einfordern. Sichtbarkeit ist wichtig. Das Thema zum Thema machen. Denn die bittere Realität ist eben auch – wir – Mütter* – können es nicht oder nur kaum alleine schaffen. Die gute Nachricht ist: Frauen können wichtige Positionen in Forschung, Hochschulen und forschungsnahen Einrichtungen einnehmen. Es könnten aber noch viele, viele mehr werden. Also, auf geht’s.

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