Wer kann es sich eigentlich leisten zu promovieren? Soziale Herkunft in der Hochschulkarriere

Heute lest ihr hier den dritten Artikel von Dana, die seit Kurzem festes Mitglied in unserem Redaktionsteam ist. Wir freuen uns sehr, dass Dana dabei ist und uns mit ihren Erfahrungen und Texten unterstützt! Sie promoviert in Kassel zu Migrationen, Arbeitsbeziehungen und Arbeitskonflikten, intersektionalen Ungleichheitsverhältnissen und Subjekttheorien am Beispiel zirkulärer Landarbeitsmigration nach Kanada.

Die Verteilung dieser Plätze hängt nicht nur am Fleiß oder der Begabung der Einzelnen. Photo by Nathan Dumlao on Unsplash

Achtung, heute wird es kritisch und etwas politisch 😉

Denn heute will ich mich mal auslassen – nicht über das Promovieren an sich, sondern über die unausgesprochene Tatsache, dass Promovieren nicht für alle gleichermaßen und „einfach so“ (finanziell) möglich ist. Denn Promovieren ist ein wundervolles Privileg und es geht mit tollen Erlebnissen und Erfahrungen einher – aber gerade weil es ein Privileg ist, ist die Frage, wer es sich überhaupt leisten kann, zu promovieren, eine Frage, die mich immer wieder umtreibt.

Class Matters!

Soziale Herkunft ist auch heute noch maßgebend im deutschen Bildungssystem – und auch in der Hochschule! In dem sehr lesenswerten Gastbeitrag, den der Verein Erste Generation Promotion e.V. Anfang des Jahres für den Blog geschrieben hat, wird deutlich, dass Kinder aus einem nichtakademischen Familienhintergrund viel, viel seltener erfolgreich eine Promotion abschließen. Währenddessen haben viele Promovierende selbst promovierte Eltern und können entsprechend auf etwas zurückgreifen (Quelle), das andere nicht haben – soziale Erfahrungen, Wissen, Netzwerke. Stichwort: Habitus. Was bedeutet das für diejenigen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft dementsprechend (noch) keinen Zugang dazu haben?

Es kann zu einer Selbst- und Fremdstigmatisierung als akademische Außenseiter*in führen. Ein solches (imaginiertes) Label geht dann nicht nur mit wiederholten Infragstellungen der eigenen (Schreib)Kompetenzen einher oder mit dem vieldiskutierten Impostor-Syndrom, sondern mit der konkreten hochschulbezogenen Erfahrung in viele Netzwerke (noch) nicht eingebunden zu sein oder einfach privat nicht die ausreichenden finanziellen Mittel zu haben, auf einen weiteren Workshop oder eine nächste, ach so wichtige Konferenz im Ausland reisen zu können. Solche Dinge eben, die für andere nicht die (große) Frage sind, da es ja schließlich um die eigene Entwicklung des wissenschaftlichen Profils geht – und um das Voranbringen der Promotion.

Aber die Realität ist eine andere.

Auch die nächste Stufe nach dem Master-Abschluss, die ja eigentlich keine Ausbildung mehr sein sollte, sondern eine erste Berufsphase, geht oft mit der impliziten Einstellung im finanziellen Sinne einher, sie sei eben dieses – eine reine Doktorand*innenausbildung. Und das schlägt sich unter Umständen auch in der Vergütung nieder – nicht nur bei Stipendien, aber dort besonders! Denn die Promotionsphase wird weder für alle Promovierenden gut bezahlt – wenn sie das überhaupt wird – und auch hier ist es die Herkunft, die darüber mitentscheidet, wer sich traut diesen unsicheren und finanziell wenig(er) lukrativen Weg überhaupt gehen zu wollen. Noch sind alle Promovierenden gleich auf die finanzielle Vergütung über eine Mitarbeitsstelle an der Uni oder in einem Projekt angewiesen. Denn wer kann es sich leisten, über Jahre hinweg 100% zu arbeiten und nur 50% bezahlt zu werden? Das ist etwas ganz anderes, als freiwillige Teilzeit.  Und wer kann sich auf Dauer eine Befristung erlauben? Was hat das für Auswirkungen auf das eigene Leben? Unbefristete Promotionsstellen gibt es nicht. Es gibt unbefristete Stellen in anderen (hochschulnahen) Bereichen und es gibt die Möglichkeit nebenher zu promovieren – aber diese Stellen sehen eigentlich gar nicht vor, dass dann auch noch promoviert wird.

Wer kann es sich leisten?

Wer kann es sich (finanziell) leisten, regelmäßig an kulturellen Netzwerkveranstaltungen teilzunehmen und sich dabei nicht nur die entsprechenden Reisekosten zu finanzieren, sondern auch die möglicherweise notwendigen Statussymbole in Forschung und Lehre zu besitzen (das geht von der Ausstattung mit Software für den eigenen Laptop, den privaten Besitz von Büchern sogenannter Klassiker oder fremdsprachiger Must-Haves, über Business-Kleidung für den Vortrag, bis hin zum extra kostenpflichten Socializing am Abend, inklusive Abendessen und dem obligatorischen Glas Wein)? Wer hat einen familiären Rückzugsort für ein ruhiges Schreib-Retreat (oder kann sich gar ein 1900€ teures Schreibcoaching leisten?), wer hat zu Hause ein eigenes Büro? Oder wer hat die Ressourcen, sich auch in der Freizeit, um die Promotion zu kümmern, da es die Möglichkeit gibt, die Kinder von anderen Personen betreuen zu lassen? Und das meine ich jetzt nicht geringschätzig und richtet sich nicht gegen diejenigen, die ihre Kinder fremdbetreuen lassen (ich auch!), sondern als Hinweis darauf, dass es ab und zu genau dieser Mehrstunden an Betreuung bedarf, um „erfolgreich“ im Wissenschaftsspiel mitmachen zu können. Und aprospros Kinder, auch hier haben Studien darauf verwiesen, dass gerade im Wissenschaftssystem Menschen kinderlos bleiben, obwohl sie sich Kinder wünschen, weil es mit der beruflichen Anforderung eher nicht kompatibel erscheint. Auch das hat mit Geld zu tun.

Und zugleich kann es sein, dass trotz der ganzen Anstrengungen, die in die eigentliche wissenschaftliche Arbeit fließen und auch der tatsächliche Bildungsaufstieg nicht ausreichen, um das Gefühl endgültig loszuwerden, nicht richtig dazu zu gehören – egal wie gut die Noten sind, wie viele Artikel publiziert werden oder wie viel Mühe man sich gibt, auf einer Konferenz irgendwie „richtig“ mitzumachen. Und möglicherweise existieren mit dem weiteren Vorankommen im Uni-System auch immer mehr Entfremdungsgefühle und vielleicht sogar auch Scham gegenüber der eigenen Herkunftsfamilie. Denn wie erkläre ich meiner (Herkunfts-)Familie und meinen Freund*innen „von damals“, was ich eigentlich gerade tue und was ich in der Zukunft damit machen kann/will? Und weiß ich das selbst überhaupt?

Jetzt könnte man auch sagen, dass aufgrund der ganzen Online-Veranstaltungen, aufgrund von Corona, jetzt ja alles gaaanz anders sei. Und ja, vielleicht haben wir als Promovierende jetzt plötzlich mehr Zugang zu Konferenzen, haben die Möglichkeiten an den „offiziellen“ Stellen teilzuhaben. Aber gerade Corona macht das Unsichtbare, ein bereits notwendiges Netzwerk, noch viel, viel wichtiger. Wie viele Promovierende erleben wohl gerade, dass der Austausch nicht einfach so weitergegangen ist, wie im letzten Jahr? Und hat das wiederum „nur“ mit sozialer Herkunft zu tun? Wahrscheinlich nicht allein. Aber doch genug, um auch hier darauf zu verweisen, dass Corona die bereits zuvor bestehenden Problemlagen nicht nur weiter verschärft hat, sondern sie auch immer wieder eklatant hat zum Vorschein treten lassen.

Das heißt nicht, dass Alles unmöglich ist.

Und ich sage auch nicht, dass individuelle Umgangsstrategien dagegen nicht wichtig und richtig sind – ich sage aber schon, dass die eigenen Bewältigungsstrategien immer nur situativ und ganz individuell wirken und nicht das darunterliegende systematische Ungleichgewicht aushebeln (können). Soziale Herkunft ist ein Faktor für soziale Ungleichheit und die macht auch vor den Universitätsgebäuden keinen Halt!

Deswegen sind meiner Meinung nach auch Solidarität untereinander und institutionelle Verbesserungen nötig! Überfachliche Graduierzentren und zentrale wie dezentrale Förderstellen und Mentoring-Programme sind daher meines Erachtens für Promovierende so wichtig und notwendig. Sie können durch ihr Seminar- und Unterstützungsangebot wichtige Ansprechpartner sein, um ganz unterschiedliche Hürden gemeinsam mit Promovierenden zu bewältigen, die auch mit sozialer Herkunft zusammen hängen. Sie können noch vor dem Beginn der Arbeit an der Promotion unterstützen, indem sie überhaupt Menschen darin bestärken und begleiten, sich ein solches Vorhaben zuzutrauen, die es sich ansonsten vielleicht gerade aufgrund ihrer Herkunft nicht trauen. Sie können während der Promotionsphase wichtige inhaltliche und auch finanzielle Hilfestellungen bieten, wenn sie Gelder zur Verfügung stellen, die Reisen, Forschung, Labor-Besuche, Gast-Wissenschaftszeiten und noch vieles mehr mitfinanzieren. Und Graduiertenzentren können auch das Ende der Promotionszeit bereichern, indem sie helfen durchzuhalten, wenn es keinen Spaß mehr macht und wenn es (wieder mal) unklar ist, wo die Reise demnächst hingehen kann und soll.

Denn Unsicherheit begleitet Promovierende und Promotionen, egal ob mit mehr oder weniger starkem finanziellen Polster. Auch diese Strukturen ändern zu nächst erst mal nichts an den sozialen Ungleichheiten – aber sie können helfen, sie abzumindern.

Und wie lassen sich dann die Strukturen ändern? Nur gemeinsam und in einem langen, politischen Prozess – aber darüber lasse ich mich dann in einem anderen Beitrag mal aus 😊

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