Forscherin, Dozentin, Promovendin – Wer bin ich eigentlich, und wenn ja, wie viele?

Heute gibt es einen Beitrag von Gastautorin Alessa Hillbrink. Alessa ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschullehre (ZHL) der WWU Münster, wo sie unter anderem zu den Perspektiven von Nachwuchswissenschaftler/innen auf Forschung und Lehre promoviert und Workshops zu den Themen Rollenverständnis und Kommunikation hält.

Alessa Hillbrink lehrt und forscht am Zentrum für Hochschullehre der WWU Münster

Wenn ich gefragt werde, wozu ich denn eigentlich in der Psychologie promoviere, reagiert das Gegenüber auf meine Antwort regelmäßig mit einem Schmunzeln. Ich promoviere über die Doppelrolle von Promovierenden als Forschende und Lehrende  – über mich selbst also, könnte man denken. Da die Psychologie sich aber von der Introspektion als Methode zum Erkenntnisgewinn längst verabschiedet hat, schreibe ich keine Abhandlung über mein eigenes Innenleben, sondern führe Fragebogenstudien und Experimente mit Promovierenden verschiedener deutscher Unis durch.

Der Umstand, dass es in einem Job mehrere Rollen zu erfüllen gilt, ist erstmal nichts Ungewöhnliches, z.B. wenn jemand neben seinen regulären Aufgaben noch Verantwortung in einem Projektteam übernimmt. Die akademische Doppelrolle (heißt wie ein Kunststück und soll von manchen Promovierenden auch als solches erlebt werden) hingegen ist einerseits so besonders, weil sie eine Idee verkörpert: Humboldts Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre, der Grundgedanke des deutschen Universitäts-Systems. Und Zweitens, weil zumindest eine der beiden Rollen, nämlich Lehrende/r, keine systematische Vorbereitung erfährt. In einem Semester saß man noch in der Vorlesung, im darauffolgenden steht man vor seiner ersten Seminargruppe: Ein Rollenwechsel von 0 auf 100.

Und wer ist man denn jetzt nun eigentlich? Studierende/r? Nicht mehr. Nachwuchswissenschaftler/in? Okay… aber Dozent/in? Jetzt wirklich? Die default-Einstellung für Rollenidentifikation bei Psychologie-Promovierenden ist erstmal ‚Forscher/in‘ (Hillbrink & Jucks, 2017)*. Die Identifikation mit der Lehrenden-Rolle ist eher zweitranging und entsprechend niedriger ausgeprägt. „Gut…“, kann man jetzt als auf Forschungskritik getrimmter Promovend einwenden, „…aber wissenschaftliche Mitarbeiter haben ja auch nur 2 SWS Lehre zu geben und sollen sich ansonsten ihrer Forschung widmen!“. Und da sind wir wieder bei Humboldt, oder bei Boyer, wenn man sich mal einen moderneren Vertreter zitiert wünscht. Wer sagt, „Forschung ist die Hauptaufgabe und dann wird noch zwei Stunden die Woche etwas ganz anderes getan, nämlich gelehrt“, für den sind Forschung und Lehre zwei verschiedene Paar Schuh. Eine Vorstellung, die wir auch bei einem Teil der Psychologie-Promovierenden großer deutscher Unis gefunden haben (Jucks & Hillbrink, 2017). Ein weiterer Teil meinte, dass Forschung und Lehre zusammengehören, als Grundpfeiler der Universität. Humboldts Idee verinnerlicht also, aber besonders fasziniert hat mich eine dritte Teilgruppe: Promovierende, die den Satz „Forschung und Lehre sind für mich…“ beendet haben mit „…eine sehr gute, bereichernde Kombination“, „…zwei sich gegenseitig stimulierende Aspekte meiner Tätigkeit“ oder schlicht „…mein Traumjob“. Sie erleben Forschung und Lehre als Bereicherung. Das ist in beide Richtungen möglich, z.B. wenn ich aus der Diskussion mit Studierenden neue Forschungsfragen generieren kann, oder wenn ich eine Kollegin von der letzten Fachkonferenz als Expertin in meine Seminarsitzung einlade. Forschung und Lehre befruchten sich gegenseitig – je stärker ich das so sehe, desto leichter fällt es mir auch, zwei Ziele mit der gleichen Tätigkeit zu erreichen (Colbeck, 2008).

Es spielt also eine Rolle, in welcher Rolle ich mich sehe und wie ich das Zusammenspiel meiner Rollen wahrnehme. Und da kommt dann doch wieder die Beschäftigung mit mir selbst in Spiel. Diese Erkenntnis aus meiner Forschung nehme ich nämliche gerne mit für meinen eigenen Alltag als Forscherin und Dozentin.

* Zum Glück lässt sich die Lehrenden-Rolle aber kurzfristig aktivieren…und dann kann man wieder davon profitieren, dass die Identifikation mit einer Rolle uns den Abruf der zur Rolle passenden Kognitionen und Verhaltensweisen erleichtert.

 

Literaturverweise:

Colbeck, C. L. (2008). Professional identity development theory and doctoral education. New Directions for Teaching and Learning, 113, 9–16. doi: 10.1002/tl.304.

Hillbrink, A., & Jucks, R. (2017). Picturing roles: Activation of PhD candidates’ role identities as researchers and teachers. Poster presented at the 7th Biennal Conference of the European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Tampere, Finland.

Jucks, R., & Hillbrink, A. (2017). Perspective on Research and Teaching in Psychology: Enrichment or Burden? Psychology Learning and Teaching, 16(3), 306-322. doi:10.1177/1475725717705205

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