[Interview-Reihe:] Nachgefragt bei … Julia Simoleit (2)

Heute geht es weiter mit Teil 2 unserer Interviewreihe. In Teil 1 haben wir mit Julia Simoleit von der Uni Münster über ihre Rolle als Beraterin von Promovenden und über eine gesunde Perspektive auf die eigene Arbeit als Doktorandin gesprochen. Heute geht es um mögliche Schwierigkeiten und Konfliktsituationen während der Promotion.

Dr. Julia Simoleit ist Koordinatorin der Graduiertenschule und des Habilitandenkollegs im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft in Münster und Bordeaux ist Julia das Projekt Promotion (Thema: Europäisierung der Universität) in Teilzeit angegangen, das sie 2013 erfolgreich abgeschlossen hat. In fast zehn Jahren am Exzellenzcluster hat sie über hundert Promovenden beraten. Wir freuen uns sehr, dass sie ihre Einsichten mit uns teilt!

Was kann schiefgehen während einer Promotion? (Wie) kann man das vermeiden?

Es gibt natürlich eine ganze Vielzahl von Problemen, die auftreten können. Häufig gibt es Probleme mit dem Betreuer. Bei Promovenden, die direkt in einem Forschungsprojekt angesiedelt sind, handelt es sich ja oft um eine schon länger bestehende Beziehung zum Betreuer, die noch aus dem Studium herrührt. Da will man natürlich ganz besonders vermeiden, Geschirr zu zerschlagen. Man profitiert ja auch von der Situation, weil der Doktorvater oder die Doktormutter einem Möglichkeiten und Perspektiven zuschiebt, die man gut gebrauchen kann. Wenn man die Person noch nicht so gut kennt, gerade erst gefunden hat oder sogar noch gar niemanden hat – was häufig bei Zweitbetreuern der Fall ist – kann man noch etwas unbelasteter an die Situation herangehen. Da rate ich dann häufig: „Überleg du dir doch einmal, was du eigentlich erwartest von deinem Doktorvater oder deiner Doktormutter“. Ich versuche, die Leute zu ermutigen, über ihre eigenen Bedürfnisse nachzudenken und selbstbewusst in die Situation hineinzugehen. Schließlich schreibt ein Doktorand eine Arbeit, er oder sie liefert ja auch Ergebnisse, darf also auch eine Gegenleistung erwarten vom Betreuer. Gerade am Anfang fehlt diese Perspektive vielen Promovenden. Ich habe häufig das Gefühl, dass die Dissertation für viele ein riesiges Projekt ist, in dem sich viele Doktoranden schnell selbst vergessen – vergessen ihre eigenen Rechte, ihre eigenen Bedürfnisse, fassen ihre Arbeit als eine Art „heilige Mission“ auf, für die sie alle Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten in Kauf nehmen müssen. Das ist natürlich Blödsinn! Denn im Grunde genommen ist die Promotion ein Job. Man sollte versuchen, sie nicht zu hoch zu hängen, bei sich selbst zu bleiben und sich zu sagen, „Ich habe mir diese Aufgabe gestellt, ich will das irgendwie schaffen, aber ich darf mich selbst dabei nicht vergessen.“

In Konfliktsituationen mit den betreuenden Professoren und Professorinnen habe ich auch schon externe Mediatoren empfohlen, wie hier in Münster das Graduate Center als zentrale Einrichtung der Universität. In einigen Fällen, in denen es einfach nicht lief, das Projekt einfach unzureichend abgestimmt war und sowohl bei dem Doktorand als auch bei der Betreuerin viel Verunsicherung bestand, habe ich auch selbst als Mediatorin fungiert. Gemeinsam haben wir dann eine Lösung gefunden, indem wir einen inhaltlich passenden Zweitbetreuer gefunden haben. In einem anderen Fall war eine Verständigung leider nicht möglich. Da kam der Doktorand von außerhalb und es bestanden zu schwerwiegende methodische, theoretische und inhaltliche Meinungsunterschiede zwischen dem Doktorand und der Doktormutter. Dieser Doktorand ist dann zurück an seine alte Universität gewechselt und konnte dort die Promotion erfolgreich abschließen. Manchmal sind es ja auch menschliche Inkompabilitäten, auf Grund derer das Betreuungsverhältnis nicht funktioniert. In Fällen, in denen ein Doktorand oder eine Doktorandin in einem Konflikt mit dem Betreuer steht, sollte man sich natürlich schon die Frage stellen, inwiefern die Situation tolerierbar ist. Wenn es aber menschlich einfach nicht passt, kann es auch der richtige Weg sein, tatsächlich den Betreuer oder die Betreuerin und auch die Universität zu wechseln. Wenn dann die Promotion abgeschlossen wird, ist das doch auch ein Erfolg.

Es kann aber auch passieren, dass sich einfach im Leben andere Wege ergeben, die schlichtweg nicht vorhersehbar waren. Häufig hat man mit Mitte zwanzig voller Idealismus mit dem Projekt angefangen und merkt aber, dass einem das wissenschaftliche Arbeiten doch nicht entspricht oder ist frustriert, dass man doch nicht den Stein der Weisen entdeckt, dass die eigene Arbeit eigentlich gar nicht so viele Menschen interessiert. Manchmal sind es auch private Situationen, die sich ändern. Es kommen neue familiäre Anforderungen hinzu wie ein Pflegefall in der Familie, Elternschaft  oder eine zeitaufwändige Beziehung. Oder man merkt, dass man eigentlich doch eine langfristigere berufliche Perspektive hätte, als es die Uni bietet. Allerdings ist ein Abbruch der Promotion meistens eher ein schleichender Prozess. Die Leute fällen diese Entscheidung selten bewusst und selten rechtzeitig. In den meisten Fällen schleift die Diss. noch eine ganze Weile nebenher. Damit macht man sich eigentlich nur unnötig das Leben schwer. Es ist kein Gesichtsverlust, die Dissertation abzubrechen. Dafür gibt es gute Gründe – inhaltliche, biographische, finanzielle Gründe, für die jeder Verständnis hat. Ich glaube auch nicht, dass das ein Risikofaktor für Bewerbungen ist. Wenn man gut begründen kann, warum man die Dissertation abgebrochen hat, werden auch potentielle Arbeitgeber dafür Verständnis haben. Aber ich kann nur dazu raten, diese Entscheidung frühzeitig zu treffen – schon allein, um sich nicht den ständigen Nachfragen von Freunden und Verwandten auszusetzen!

Was rätst du Promovenden, die sich in einer Konfliktsituation mit ihrem Doktorvater/-mutter befinden?

Man sollte immer im Auge behalten: Was ist mein Ziel, was möchte ich am Ende des Tages erreicht haben und welche Kompromisse bin ich bereit, dafür einzugehen? In der besten aller möglichen Welten hätte natürlich jeder einen Doktorvater oder eine Doktormutter, die sich freundlich und aufopferungsvoll kümmert, regelmäßig Kapitel liest, bei der beruflichen Orientierung hilft, Kontakte vermittelt, ansprechbar ist und auch für inhaltliche Vorschläge offen ist. De facto gibt es natürlich viele Doktorväter und –mütter, die überarbeitet sind, kein Interesse haben an der Betreuung oder am Projekt, keine besonders ausgeprägten didaktischen Fähigkeiten oder eher unfreiwillig in die Betreuungssituation hereingerutscht sind. Manchmal müsste man sagen, wir brechen die Beziehung ab. Wenn man in so einer Situation ist, dass man das Gefühl hat, mein Doktorvater oder meine Doktormutter hat zu wenig Zeit für mich, interessiert sich nicht für mein Projekt, gibt mir Ratschläge, die mir nichts nützen, dann kann man sich überlegen, ob man nicht woanders andocken will mit seinem Projekt. Oft hat man ja dann schon Kontakte geknüpft und kennt Menschen, und die alternativ als Betreuer in Frage kämen.

Noch schlimmer ist, wenn man sich in einem Arbeitsverhältnis befindet mit seinem Betreuer, der gleichzeitig auch der Chef ist und man das Gefühl hat, dass die eigene Arbeitskraft nur ausgenutzt wird für Lehre oder Lehrstuhlaufgaben, auf die niemand anders Lust hat. Da muss ich schauen, wie groß der Leidensdruck ist: Kann ich das ansprechen? Das sollte ich nicht alleine tun, dafür ist das Machtgefälle zu groß. Für solche Positionen sind Koordinatoren von Graduiertenschulen oder Mitarbeiter von einem Graduate Center ideal. Natürlich hat man oft Angst, Porzellan zu zerbrechen. Also sollte man versuchen, das Ganze möglichst ohne Gesichtsverlust für den Prof zu machen. Idealerweise hätte man dann schon ein Vorgespräch geführt mit einer dritten Person am Lehrstuhl, der man vertraut. Da kann man das Ganze auch als Problem auf der persönlichen Schiene darstellen, als Situation, mit der man persönlich unglücklich und unzufrieden ist. Da wird ein Prof auch sehen, dass hier jemand ist, dem irgendwie geholfen werden muss. Das fasst der Prof dann auch nicht als Generalkritik an der eigenen Person auf. Da ist es konstruktiv, wenn man dann vorschlägt, jemanden hinzuzunehmen, der zuhört und man gemeinsam einen Plan entwickelt. Es lohnt sich auch, zu betonen, dass man die gute Zusammenarbeit gerne weiterführen möchte. Aber natürlich ist die Angst groß, Porzellan zu zerschlagen. Man kann sich auch entscheiden, die Probleme nicht anzusprechen und anderweitig Lösungen zu finden und gegebenenfalls einen fachlich und menschlich passenderen Zweitbetreuer zu finden. So kann man das Problem dann umschiffen. Letztendlich muss man auch gucken, was zu einem persönlich passt. Wer nicht der Typ für Konfliktsituationen ist, entscheidet man sich vielleicht eher für die konfliktscheue Variante.

Und zuletzt: Welchen Rat würdest du gerne jedem Doktoranden geben?

Man sollte versuchen, sein Projekt nicht persönlich zu nehmen und mit dem eigenen Wohl und Wehe zu verbinden, sondern möglichst früh schon versuchen, Abstand zum eigenen Projekt zu gewinnen. Man ist nicht doof, nur weil man plötzlich nicht mehr versteht, was man da schreiben wollte. Viele Faktoren, die zu einer guten Promotion beitragen, hat man nicht in der Hand – familiäre Situationen, Situationen mit dem Doktorvater, inhaltliche und fachliche Unwägbarkeiten, mit denen man leben muss. Also: Erwägt einen Abbruch, wenn es irgendwie sinnvoll scheint. Man kann ja auch mit 67 noch promovieren.

Für manche mag es richtig sein, trotz großer Schwierigkeiten die Dissertation zu Ende zu bringen. Es kann durchaus aus psychologischer und pädagogischer Perspektive ein Gewinn für die Person sein, auch wenn der wissenschaftliche Nutzen vielleicht überschaubar ist.  Wenn man es durchziehen möchte, dann hilft es, das Projekt auf das runterzubrechen, was es eigentlich ist: Ein eigenständiges Forschungsprojekt, ein kleiner Beitrag zu einem großen Wissenschaftsgebäude, an dem alle so ein bisschen mitwerkeln. Man kann sich auch zwischendurch ruhig mal sagen, dass am Ende sowieso keiner die Arbeit liest (was ja so auch nicht stimmt, aber manchmal hilft der Gedanke). Es ist nicht das gesamte Leben damit verknüpft!

Ich finde auch, dass es wichtig ist, sich frühzeitig zu überlegen, welchen Stellenwert die Promotion für mich haben soll. Man kann sich ganz stark wissenschaftlich parallel engagieren und das Ganze von Anfang an auf eine wissenschaftliche Karriere ausrichten. Man kann aber auch sagen, ich mache es nur für den Titel. Das ist genauso legitim, wie wenn man alles tut, um sich den Weg zur Professur zu ebnen.

Und man muss sich auf Enttäuschungen einstellen, wenn es in der Wissenschaft weitergehen soll. Denn nach der Promotion wird es einfach eng. Postdoc-Projekte können sich extrem lang hinziehen. Ein Habilitationsprojekt ist lang und manchmal steht man dann da, wenn die Karriere nicht so läuft wie erhofft und fragt sich, „Warum habe ich das eigentlich gemacht?“ Das ist ein harter Weg und man sollte sich gut überlegen, ob man ihn gehen möchte und ob man auch willens ist, mit den entsprechenden Gehaltsausfällen zu leben. Oder ob man nicht vielleicht doch den Traum von dem kleinen Häuschen hatte und das eventuell in zehn Jahren vermissen würde –oder die klaren Arbeitszeiten und den festen Feierabend.

Ansonsten: Arbeitet fleißig, aber nicht nachts. Stellt euer Leben nicht zu sehr zurück – es sollte ein Projekt sein und keine Lebensaufgabe. Und verzweifelt nicht, wenn ihr zwischendurch mal das Gefühl habt, zu scheitern – das gehört dazu.

Vielen herzlichen Dank, Julia, für deine Einsichten und deinen Rat!

One thought on “[Interview-Reihe:] Nachgefragt bei … Julia Simoleit (2)”

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *