Diss beenden und gleichzeitig im Ref durchstarten? Geht! Im Sinus/Cosinus-Prinzip!

Gastautorin Lena Straßburger ist seit Mai 2020 im Referendariat für das Lehramt an Gymnasien und hat parallel dazu ihre Dissertation abgegeben und verteidigt. In Lenas Forschung geht es aus einer psycholinguistischen Perspektive um die kognitive Verarbeitung von Inkongruenzen und wie diese in einer humorvollen oder gruseligen Interpretation münden können. In diesem Blogbeitrag berichtet sie von ihren Erfahrungen mit der Parallelität von Dissabgabe und Refstart und gibt Tipps für ein passendes Zeitmanagement unter der Doppelbelastung.

Dein Geldhahn (Stipendium, befristete Stelle) läuft aus, obwohl deine Dissertation noch nicht abgeschlossen ist? Kenn ich! Dein zweites Standbein (als Plan B, falls es in der Wissenschaft nicht klappen sollte oder tatsächlich aus Berufung) ist das Lehramt an einer deutschen Schule? Jepp, kenn ich ebenfalls! In diesem Blogbeitrag schildere ich meine Erfahrungen, die ich beim Abschluss meiner Diss und parallel laufendem Referendariat gesammelt habe, und gebe dir Tipps, wie die doppelte Herausforderung gelingen kann.

Meine Gründe für Ref-Start + Diss-Abschluss

In meinem Fall ist mein Stipendium im März 2020 ausgelaufen und ich hatte trotz akribischer Planung, vieler durchgearbeiteter Wochenenden und Ferien noch einige Dissertations-to-do’s auf dem Programm. Meine Schlussdiskussion und Einleitung wollten noch abgewickelt werden, das englischsprachige Lektorat ging in die heiße Phase und allerlei, zeitraubender Kleinkram wie ein letzter Check aller Abbildungen, Tabellen und des Literaturverzeichnisses standen noch aus.

Trotz allem wurde die Abgabe der Dissertation für mich langsam greifbar und ich musste mich mit der Frage beschäftigen, wie ich die Zeit nach der Stipendiumsblase angehen möchte. Obwohl die Promotion für mich eine der besten Entscheidungen überhaupt war, wusste ich sehr genau, dass ich in bestimmte Situationen (insbesondere aufwändige, statistische Auswertungen, langweilige, hardcore Linguistik-Vorträge und ewig befristete Verträge) nie mehr kommen wollte. Zudem hätte ich mich ohne Titel sowieso noch nicht auf Postdoc-Stellen bewerben können und suchte nach einer Lösung, die ich ohne einen Überbrückungsjob antreten konnte. Da ich die Fächer Deutsch, Französisch und Geografie auf Lehramt studiert habe und vor der Dissertation tatsächlich gerne Lehrerin werden wollte, habe ich mich dem Selbstversuch gestellt und im Mai 2020 das Referendariat an einem Bonner Gymnasium angetreten.

Fragen, Fragen und nochmal Fragen:

Während ich jede Menge organisatorische und emotionale Fragen an die Abgabe und Verteidigung der Diss hatte, waren die Fragen ans Ref mindestens genauso groß. Ich hatte für beide Projekte bisher (fast) nur Negatives und von vielen Nervenzusammenbrüchen gehört und hatte großen Respekt davor, beide Projekte gleichzeitig anzugehen. Gleichzeitig hatte ich zwei Bekannte, die es entweder mit frisch geborenem Baby oder auch mit Doppelbelastung durch das Ref geschafft hatten, die Dissertation erfolgreich abzugeben und zu verteidigen. Schlussendlich war für mich entscheidend, dass ich einfach gut darin bin, einfach mal anzufangen. Ich habe mir gedacht: Wird sich schon fügen, denn ich kann gut organisieren, bin diszipliniert und kann mich auf mich verlassen. Und es hat sich bisher auch alles (mit etwas Geruckel) gefügt! Den Mutigen gehört die Welt.

Meine Prinzipien (was sich nicht bewährt hat): strenge Parallelität

Meine anfängliche Strategie, jeden Nachmittag direkt ins alte Büro zu fahren, um dort weiterzupromovieren, hat nur in den ersten Wochen des Referendariats geklappt. Am Anfang konnte ich noch parallel fahren und beide Projekte bedienen. Dann wurde mir aber mehr und mehr klar, dass ich eine strenge Parallelität der Projekte trotz durchgearbeiteter Wochenenden nicht aushalten würde. Im Ref kamen die ersten Unterrichtsbesuche auf mich zu und meine Seminare am ZfsL (die in Bonn als zusätzliche Belastung im Nachmittagsbereich nach den normalen Schulstunden liegen) und die Pendelei raubten mir mehr und mehr die Zeit für die Dissertation. Ich brauchte auch die Wochenenden für die Vorbereitungen für die Schule und musste also anders verfahren, um beide Projekte bedienen zu können. Und das ging so:

Meine Prinzipien II (was sich bewährt hat): Wellenreiten nach dem Sinus/Cosinus-Prinzip!

Vor den Sommerferien war für mich im Ref so viel zu tun, dass ich mich für einen ganzen Monat vom alten Büro und der Dissertation verabschiedete. Während ich meist locker mehrere mittelgroße Wellen reiten kann, war mir das für zwei große Wellenbrecher nicht mehr möglich. Ich entschied mich dafür, die Wellen in Sinus und Cosinus je nach Priorität zu unterteilen und abwechselnd zu reiten. Ich hüpfte also von der Sinus-Welle der Diss ganz herunter und nahm Fahrt für die to-do’s im Cosinus-Ref auf. Immer mit dem Ausblick, dass die Sommerferien bei einem Refstart im Mai relativ schnell nahen und der nächste Wellenwechsel dann ganz leicht möglich ist.

Und so kam es dann auch: In den Sommerferien habe ich trotz aller Müdigkeit sofort das Projekt inklusive Büro gewechselt und habe nochmal drei intensive Wochen an der Diss gefeilt. Da ich einen Urlaub für Mitte Juli gebucht hatte, war für mich klar, dass ich auf Biegen und Brechen im Sinne meiner Psychohygiene vorher abgeben würde (obwohl ich rein nach der Abgabedeadline auch nach dem Urlaub nochmal hätte weiterarbeiten können). Das habe ich mit einigen Nachtschichten, einem Minimum an freier Zeit, einem verständnisvollen Support Team und dem Ausblick auf zwei Wochen Madeira auch geschafft! Abgabe 17. Juli 2020 check!

In den letzten Ferienwochen bin ich dann wieder auf die Schulwelle aufgesprungen und habe den Unterricht vorbereitet und mich durch die Ref-Orga gemanagt. Bis zu den Herbstferien stand damit also wieder alles im Zeichen der Schule und des Seminars, meiner Prüfungen und Gutachten. Da meine Defensio für 1,5 Wochen nach den Herbstferien angesetzt war, bereitete ich auch den Unterricht für diese Übergangsphase vor, um die Materialien nur flott aus der Tasche ziehen zu müssen.

Mit dem ersten Tag der Herbstferien bin ich wieder auf die Sinus-Welle aufgesprungen und konnte mich auf die Defensio konzentrieren. Dabei habe ich tatsächlich die Vorbereitungen des Vortrags, abgesehen von der Orga für bereits vereinbarte Sprechstunden und Probedefensiones, bei null begonnen. Auch das erneute Lesen der Diss und das Nachlesen von ungeklärten Aspekten passten in diese Zeit. Am 04.11.2020 habe ich meine Dissertation über zoom verteidigt und eine Woche lang jeden Moment (den mir Corona gelassen hat) zum Anstoßen (mit Freunden, in der Schule, im Seminar) genutzt. Herrlich! Und gleichzeitig riiiiichtig hart, weil ich hier nun wirklich nicht verschnaufen konnte. Ich musste sofort weiter unterrichten, konnte keinmal ausschlafen oder den Tag verbummeln. Die nächsten Prüfungen im Ref nahten und meine vorbereiteten Materialien waren aufgebraucht. Obwohl jetzt der große Meilenstein Defensio erreicht war, war ich durcheinander, hatte keine Lust mehr aufs Ref und kleinliche Fachleitungen oder Gutachter*innen. Meine Motivation war verpufft und ich habe mich durch ein paar fiese Wochen mit noch einem Unterrichtsbesuch, Klausuren, Korrekturen und Corona-Lockdown bugsieren müssen. Dabei konnte ich überhaupt nicht realisieren, was da gerade alles passierte und konnte wegen Corona auch kaum persönlich mit Freunden sprechen.

Fazit – Orga versus Emotion: Das Switchen zwischen den beiden Projekten war organisatorisch für mich super und hat mir ermöglicht, in beiden Projekten voranzukommen, finanziell gut zu fahren und im Vergleich zu einem Nacheinander der Projekte Zeit zu sparen. Es hat mich emotional aber auch etwas zerfleddert zurückgelassen. Das Sinus-Cosinus-Hüpfen war im Endeffekt einerseits leicht und andererseits ganz schön schwer: Mich emotional nur einem Projekt hinzugeben, war für mich zunächst leichter als paralleles Abarbeiten, denn an beiden Universen hängen für mich auch immer die großen Fragen (Will ich das für immer? Was will ich sonst?) dran und ich habe meine Diss, das alte Büro und meine lieben Kolleg*innen permanent vermisst. So konnte ich das Diss-Projekt kurzfristig ganz ausblenden und meine Konzentration aufs Ref lenken. Andererseits fällt beim Arbeiten rein nach Priorität sehr viel Menschlichkeit runter und eine mal mit weniger Zeitaufwand geplante Unterrichtsstunde machte mein schlechtes Gewissen verrückt. Insgesamt hatte ich durch die gut gelegenen Ferien und die flexiblen Arbeitszeiten für die Diss auch jede Menge Glück, die Projekte überhaupt umeinander herum organisieren zu können.

Nun bin ich in den Weihnachtsferien des Refs angekommen (50% in der Tasche, jeah!) und lese mich durch die Websites aller englischsprachigen Verlage, um möglichst bald, möglichst gut zu publizieren. Da ich eine interdisziplinäre Arbeit geschrieben habe, die ihre ganz eigenen Tücken hat (siehe hier), muss ich sehr genau suchen, welcher Verlag zu mir passt (dazu vielleicht an anderer Stelle nochmal ein Erfahrungsbericht). Und ich muss im Blick behalten, dass ich neben dem Ref, dessen Anforderungen sich jetzt zuspitzen werden, keine allzu aufwändigen Revisionen werde abarbeiten können. Für die Publikation ist auch entscheidend, was ich nach dem Ref machen möchte. Will ich Lehrerin werden oder Professorin? Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mir beides (nicht) vorstellen und liebäugele mit einem Job, für den mich sowohl die Dissertation als auch das Ref qualifizieren. Hier bieten sich verschiedene Stiftungen oder Ministerien an. Aber dazu gerne mehr im nächsten Beitrag. 😉

Meine Tipps an euch Wellenreiter*innen da draußen:

Refstart günstig legen! Beginne das Ref möglichst im Mai, denn dann nahen die Sommerferien zum Beenden und Abgeben der Dissertation.

Nicht zu viel Zeit für die Verteidigung einplanen! Nutze (nur) die Herbstferien zur Vorbereitung der Defensio, denn zwei-drei Wochen reichen. Vereinbare dabei frühzeitig mindestens zwei Probedefensiones/-disputationes mit deinem alten Team oder Freunden, sodass du auch innerhalb der Herbstferien Deadlines hast, in denen du den Stand der Dinge präsentieren musst.

Orga im Kalender einplanen! Der zeitliche Aufwand, zwei große Projekte zu synchronisieren, ist groß und braucht eigene Slots im Kalender. Mails mal gerade nebenbei oder (noch schlimmer) vor dem Schlafengehen zu checken und dann unglücklicherweise etwas Wichtiges zu entdecken, ist ein Nervenkiller, der sich auf alle parallel laufende Projekte auswirkt! Anfängerfehler! Nicht machen!

Im Ref über die Diss sprechen! Viele Vorurteile gegenüber denen, die von der Uni aussteigen und das Ref starten, oder gegenüber denen, die nach dem Ref zurück an die Uni gehen, sind dir sicher bekannt. Ich hatte deshalb zu Beginn des Refs beschlossen, niemandem von meiner Dissertation zu berichten und unbefangen ins Ref zu starten. Das hat ungefähr zwei Wochen gehalten… In der Schule muss man, um authentisch und glaubwürdig zu unterrichten, man selbst sein. Im Kollegium war es bei mir trotz aller Professionalität von Anfang an sehr herzlich und persönlich. Ebenso im Seminar mit den anderen Refis und den Fachleitungen. Hier hätte ich nie authentisch sein können, wenn ich die letzten vier Jahre meines Lebens ausgespart hätte. Also habe ich es in netten Momenten immer mal wieder einfließen lassen und bin auf offene Ohren und sehr viel Interesse und Mitfiebern gestoßen. Alle Kolleg*innen haben mir die Daumen am Tag der Defensio gedrückt und mich mit lieben Worten und übernommener Orga entlastet. Also: Authentisch bleiben und selbstbewusst zu beiden Teilen stehen!

Wisse, was auf der Strecke bleiben wird: Bei mir bliebenWochenenden mit meinem Mann auf der Strecke, der mich in vielen Situationen entbehren musste und mir durch viele übernommene Aufgaben im Haushalt den Rücken frei gehalten hat… Das macht ein großes, schlechtes Gewissen! Und dann auch solche Momente wie ein Bierchen nach der Schule mit den Kolleg*innen, gemütliche Abende mit den Mit-Refis, spontane Spaziergänge am Rhein, überhaupt Spontanität, mal bei einer Freundin übernachten und tiefgründige Gespräche führen, in Ruhe einkaufen und Erledigungen machen, private, größere Projekte starten (einen eigenen Blog oder Podcast aufbauen, weitere Publikationen vorbereiten, Konferenzvorträge, einen Marathon laufen, ein Baby bekommen, ein Haus bauen, umziehen… das hätte mich parallel zur Doppelbelastung gekillt), kurz: Freizeit! In diesem Sinne hat mir Corona in die Karten gespielt, weil ich sowieso nicht viel hätte unternehmen können.

Was du gewinnst: einen fließenden Geldhahn und finanzielle Unabhängigkeit, einen gesellschaftlichen „Status“ als Referendarin und einen durchgängig gefüllten Lebenslauf, Lockerheit in Bezug auf beide Projekte, denn zwischendurch kann man beide nicht richtig ernst nehmen, da immer gleich das andere Projekt winkt. Schlussendlich erspart dir die Zweigleisigkeit auch Sorgen, denn es bleibt keine Zeit, sich in irgendetwas hineinzusteigern à la „Schaff ich das?“; wenn man so viele Prüfungen und Gutachten gleichzeitig abarbeitet, kann man nicht für jede aufgeregt sein und stumpft erfreulicherweise ab. Obwohl ich in der Parallelität insgesamt keine Zeit *nur für mich* hatte, springt am Ende ein zeitlicher Gewinn von mindestens einem halben Jahr heraus, der bei einem Nacheinander der Projekte hätte einkalkuliert werden müssen. Fazit: Geld, Status, Lockerheit und Zeit! Also: Ab in den Selbstversuch. Den Mutigen gehört die Welt!

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