Ist (deine) Forschung wichtig?

Wie kommt es eigentlich, dass ich keinen Zweifel habe, dass die Wissenschaft und die wissenschaftliche Methode ein Segen für die Menschheit sind und trotzdem denke, dass die Uniklinik statt mir vielleicht lieber einen weiteren Pfleger eingestellt hätte?

Ich glaube jeder Doktorand hadert mit der Bedeutung seiner Forschung und findet sich in Gedankenschleifen, die ungefähr so gehen: Unsere Ergebnisse sind für niemanden relevant, wer liest schon Promotionen, in manchen Journalen werden 20 % aller Artikel gar nicht zitiert und ich hätte lieber Bäcker werden sollen!

Eine Erklärung für unsere paradoxe Bewertung von „DER Wissenschaft“ und unserer eigenen wissenschaftliche Arbeit liegt sicher in der berechtigten Erkenntnis, dass wir nicht alle unsere Disziplin revolutionieren werden und dass wir vielleicht einfach durchschnittliche Doktorandinnen sind. Eine andere in der unberechtigten Vorstellung wir wären nur Hochstapler und spielten nur Wissenschaftlerin.

Aber macht diese Einteilung in wichtige und unwichtige Forschung überhaupt Sinn? Was meint man damit? Wodurch zeichnet sich wichtige Wissenschaft aus? Woher stammt die Arroganz mancher Disziplinen/ Arbeitsgruppen zu sagen xy sei keine richtige Wissenschaft? Ich erwische mich manchmal selbst bei dem Gedanken „Dafür werden Forschungsgelder ausgegeben?“ wenn ich mit anderen Doktoranden spreche.

Um zu bewerten, ob Forschung vielleicht wichtig oder unwichtig ist, muss man sich zunächst überlegen: Wozu machen wir überhaupt Wissenschaft? Tatsächlich wird diese Frage gar nicht so oft gestellt. Ich nehme an unter Akademikern ist sie als ketzerisch verboten.

 Wozu Wissenschaft?

Ich habe in der ULB aber dann doch ein Buch mit dem Titel „Wozu Wissenschaft?“ von Joachim Schummer gefunden. Er beschreibt neun Zwecke der Wissenschaft, die ich euch hier kurz vorstellen möchte. Dabei leihe ich mir bei einigen Zwecken nur den Namen von Schummer, bei anderen auch seine Erläuterungen dazu.

Ideen zur Weltverbesserung

Dass Wissenschaft den Zweck hat die Welt und unser Leben zu verbessern, ist sicher in der gesamten Gesellschaft weit verbreitet. Leider ist das Weltverbesserungs-Potenzial von Forschung nicht immer absehbar. Während sich die Zahlenspielereien aus dem 17. und 18. Jahrhundert als relevant für die heutige Kryptografie rausstellten, finden wir die Idee der Charakter eines Menschen könnte sich an seiner Kopfform zeigen heute nur noch lächerlich. Der Nutzen von Forschung liegt außerdem oft weit in der Zukunft.

Noch fundamentaler ist die Schwierigkeit, dass die  Verbesserung im Rahmen des kulturellen Systems in dem man sich gerade befindet bewertet wird. Unterschiedliche Menschen werden zu unterschiedlichen Zeiten wohl auch unterschiedliche Antworten auf die Frage finden, ob Antibiotika, Atomkraft oder das Wissen um den Klimawandel unsere Welt tatsächlich verbessert haben.

Trotzdem ist es Aufgabe der Wissenschaft die Welt zu verbessern und Probleme zu erkennen und zu lösen, die noch in ferner Zukunft liegen.

Methoden zur Schärfung des Denkens

Neben dem neuen Wissen, schreibt Schummer, gehöre auch der Prozess der Erkenntnisbildung zu den Produkten der Wissenschaft. Die wissenschaftliche Methode zu verfeinern sei sogar ein elementarer Zweck der Wissenschaft, denn nur so könne sie weiter bestehen bleiben. Doch auch außerhalb der Universität werde die wissenschaftliche Methode gebraucht, denn sie erlaube es durch definierte Begriffsbildung überhaupt erst die richtigen Fragen zu stellen. Schummer nennt dafür das Beispiel, dass jemand eine Wohnung mieten möchte und sich fragt, ob es in dieser, da sie an einer großen Straße liegt, zu laut ist. Um dieses Problem tatsächlich zu lösen, und sich nicht darauf zu verlassen, dass das Geräuschempfinden des Vormieters schon mit dem eigenen übereinstimme, müsse zunächst geklärt werden, was Lautstärke sei und wie man sie messen könne. Dann könne auch ein zu laut definiert werden und die Frage „Ist es in der Wohnung zu laut?“ gestellt und beantwortet werden.

Erklärung und Aufklärung

Die Wissenschaft solle nicht nur Phänomene beschreiben, sondern auch nach Erklärungen suchen, also Antworten auf Warum-Fragen geben. Damit liefere die Wissenschaft zunächst Erklärungen, träge aber auch zur Aufklärung der Gesellschaft bei, da sie handlungsrelevantes Kausalwissen zur Verfügung stelle. Schummers Beispiel ist hier der Zusammenhang zwischen den fruchtbaren Tagen einer Frau und der Schwangerschaft. Bis zu dieser Erkenntnis sei die Geburt eines Kindes Fügung oder Schicksal, danach sei sie planbar.

Kausalwissen führe zu weitreichenden kognitiven und sozialen Veränderungen, denn Kausalwissen mache es möglich jemanden für etwas zur Verantwortung zu ziehen. Wie weitreichend die Folgen sein können zeige sich an den schwierigen Fragen, die zum Beispiel die Pränataldiagnostik aufwerfe. Mit dem Besitz von Kausalwissen über bestimmte Gene und bestimmte Krankheiten würde uns eine Verantwortung aufgebürdet, die wir als Last empfänden. Die Rationalisierung der Welt gehe mit einem Verlust an Verantwortungsfreiheit und Unschuld einher.

Ein weiterer Aspekt der Aufklärung sei es Selbstverständliches zu hinterfragen und damit zu einem genaueren Verständnis aber auch zu einer vorsichtigeren und bescheideneren Haltung zu gelangen.

Vorhersagen zum Umgang mit der Zukunft

Es ist ein zentrales Element der Wissenschaft Vorhersagen zu machen, doch nur ein kleiner Teil davon ist handlungsrelevant. Nur dieser kleine Teil kann also unseren Umgang mit der Zukunft durch bessere Informationen und besseres Verständnis beeinflussen.

Wie wir am Klimawandel sehen können lässt sich die Politik nicht immer von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten. Ich halte das in diesem Fall für katastrophal aber Schummer betont dabei einen interessanten Aspekt: eine Demokratie ist keine Technokratie. Die Meinungsbildung und Mehrheitsbildung geschieht gesamtgesellschaftlich und ist nicht einer Elite überlassen. Spätestens der Blick auf die Rolle der Universitäten und Wissenschaften im Nationalsozialismus sollte da auch eine große Bescheidenheit wecken.

Innovation

Schummer meint Innovation einfach im Sinne von etwas Neues schaffen. Etwas Neues zu schaffen sei notwendige Bedingung für Wissenschaft, Wissenschaft definiert sich ja gerade dadurch neues Wissen zu produzieren. Es gebe jedoch auch andere Bereiche in denen Neues produziert werde: im investigativen Journalismus, in der Mode oder Kunst. Doch in diesen Bereichen sei das Neue nicht zwingend nötig und es fehle an Kriterien um die Originalität und Neuheit des Produktes zu überprüfen.

Befriedigung kultivierter Neugier

Schummer spricht hier von der kultivierten Neugier im Gegensatz zur vulgären Neugier mit der wir die Boulevardpresse lesen oder unsere Nachbarn belauschen. Während die Boulevardpresse nur konkrete Einzelfälle berichte, suche die Wissenschaft nach Erkenntnissen allgemeiner Art. Die kultivierte Neugier oder wissenschaftliche Wissbegierde richte sich also auf abstrakte Erkenntnisse. Diese kultivierte Neugier sei ein menschliches Grundbedürfnis was sich auch darin zeige, dass sie bei Kindern erheblich zur Entwicklung der Intelligenz beitrage.

Erfüllung einer Lebensform

Schummer schreibt, dass nicht nur das Ergebnis einer Tätigkeit sondern auch die Tätigkeit selbst ein Zweck sein könne. Zweck der Wissenschaft sei auch das Führen eines wissenschaftlichen Lebens. Wir seien glücklich, wenn wir einer Tätigkeit nachgingen, die unsere Fähigkeiten fordere und aus sich selbst heraus zu neuen Höchstleistungen ansporne – der vielbeschworene Flow. Dieser ließe sich in der wissenschaftlichen Arbeit besonders leicht finden.

Mit dieser Idee ist Schummer nicht allein. Dem Physiker Richard Feynman wird folgendes Zitat zugeordnet: Science is like sex, sometimes something useful comes out but that is not the reason we are doing it!

Ich muss zugeben, dass ich diese Begeisterung nur in seltenen Momenten teile. Wie ich damit umgehe, statt dem Flow eher die Prokrastination zu erleben, könnt ihr hier nachlesen.

Orientierung in der Welt

Die Menschheit sehne sich nach einem Weltbild, dass Sinn und Orientierung biete. Es bette den Menschen in einen größeren Kontext ein und ermögliche so ein Gefühl von Zugehörigkeit. Ein Weltbild könne die Wissenschaft nicht bieten. Dazu wären Schlüsse vom Einzelnen auf das Allgemeine nötig, die sich nach der wissenschaftlichen Methode kaum rechtfertigen ließen.

Die Wissenschaft ermögliche jedoch eine Orientierung in der Welt. Sie beschreibe, sie vermesse, sie katalogisiere, sie modelliere und ordne unsere Welt. Jede Disziplin liefere Standards für gesichertes Wissen. Selbst auf die Frage „Wo kommen wir her?“ könnten wir Dank der Wissenschaft heute eine unglaublich detaillierte Antwort geben.

Spannend fand ich auch den Aspekt, dass ein Gefühl von Orientierung subjektiv ist. Schummer erklärt es sei für den Einen völlig egal, ob irgendwelche Galaxien außerhalb der unseren existierten aber für den Anderen gebe es Orientierung, wenn diese katalogisiert seien.

Bildung

Durch Vorträge, Bücher, Artikel und Konferenzen sei Wissenschaft ein wechselseitiger Bildungsprozess und Bildung somit ein elementarer Zweck der Wissenschaft, der ihren Fortbestand sichere. Außerdem werde die durch wissenschaftliche Methoden gewonnene Erkenntnis und das Orientierungswissen in Schulen und Universitäten gelehrt.

 

Damit haben wir eine Menge Ideen wozu wir Wissenschaft machen. Insbesondere die Bandbreite dieser Zwecke finde ich ganz hilfreich, um die verschiedensten Forschungsprojekte wertzuschätzen. Wobei jeder der Zwecke von vielen Disziplinen bedient wird, auch wenn sich einige mehr dazu anbieten. Nicht nur die Geographie gibt Orientierung in der Welt. Soziologie und Politikwissenschaft können uns etwas über die Gesellschaft in der wir leben erklären, Medizin und Psychologie versuchen unsere Körper und unsere Gedanken zu verstehen und Musik- und Literaturwissenschaft finden Systematiken in der Kunst, in der Menschen ihre Emotionen und Wahrnehmungen verarbeiten.

Also, ist deine Forschung wichtig?

Schummer selbst gibt kein Ranking der Zwecke vor. Zudem bedingen und beeinflussen sich die Zwecke gegenseitig. Wie sollte man die Welt verbessern ohne Vorhersagen für die Zukunft zu haben oder ohne Orientierung in der Welt? Wie sollten wir weiterhin Wissenschaft machen ohne Bildung oder ohne die Schärfung des Denkens?

Vielleicht ist jede Wissenschaft wichtig und manche Dinge treffen nur mehr meine persönliche kultivierte Neugier als andere. Nur meine Ausgangsfrage kann ich trotzdem nicht so recht beantworten. Warum halte ich „die Wissenschaft“ hoch und die mühevoll befüllten Seiten in meinem Laborbuch für unnötig? Ich bin zwar sicher es gibt Wissenschaftlerinnen in anderen Laboren die sie besser ausgefüllt hätten aber nicht wesentlich besser.

Kennt ihr diese Geschichte von den Arbeitern an der Kathedrale? Drei Arbeiter behauen Steine, da kommt ein Kind vorbei und fragt jeden von ihnen „Was machst du da?“. Der erste sagt „Ich behaue Steine“, der zweite: „Ich forme Steine, damit mein Kollege sie aufschichten kann.“ Und der dritte sagt: „Ich baue eine Kathedrale.“.

Na ja. Ich lese vielleicht nochmal die 10 Tipps gegen den Dissertation-Blues.

 

 

 

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